Originaltitel: Falling__Herstellungsland: USA/Kanada/Großbritannien__Erscheinungsjahr: 2020__Regie: Viggo Mortensen__Darsteller: Viggo Mortensen, Lance Henriksen, Sverrir Gudnason, Hannah Gross, Gabby Velis, Laura Linney, David Cronenberg, Terry Chen, Bo Martyn, Ella Jonas Farlinger, Bracken Burns, Etienne Kellici u.a. |

In dem Familiendrama „Falling“ spielt Lance Henriksen den dementen Vater von Viggo Mortensen
Für sein Regiedebüt „Falling“ schrieb Viggo Mortensen das Drehbuch, komponierte die Musik, übernahm die Produktion und spielte auch noch eine Hauptrolle – letzteres vor allem, um die Finanzierung für sein Herzensprojekt zusammenzubekommen, in dem er die Demenzerkrankung seiner eigenen Eltern verarbeitete.
Die Gegenwartshandlung von „Falling“ zeigt John Petersen (Viggo Mortensen), der seinen demenzkranken Vater Willis (Lance Henriksen) zu sich nach Kalifornien holt, um gemeinsam mit diesem nach Häusern in der Nähe zu suchen. Willis lebt eigentlich auf einer eigenen Farm im ländlichen Amerika, kommt jedoch zunehmend schwer damit zurecht. Schnell wird klar, dass hier zwei Welten aufeinandertreffen: John ist homosexuell, lebt mit seinem asiatischstämmigen Ehemann Eric (Terry Chen) und seiner spanischstämmigen Tochter Mönica (Gabby Velis) den Calfornian Way of Life, während Willis ein homophober, misogyner und rassistischer Patriarch und Griesgram ist. Das Gute an „Falling“: Die Situation wirkt nie so konstruiert, wie sie vielleicht beim Lesen dieser Zeilen wirken mag, sondern erscheint durchweg als organische, plausible Erzählung einer schwierigen Familienkonstellation.
In Rückblenden sieht man derweil immer wieder Szenen aus Johns Kindheit und Jugend. Schon damals war Willis (Sverrir Gudnason) kaum einen Deut besser, vertrieb Gwen (Hannah Gross), die Mutter seiner Kinder, mit seinem Gebaren und seiner Alkoholsucht, fand später in Jill (Bracken Burns) eine zweite Ehefrau. Die Ereignisse der Vergangenheit belasten gleichzeitig die Gegenwart – und Willis fällt es zunehmend schwerer zwischen den verschiedenen Zeitebenen und Personen in seinem Leben zu unterscheiden…
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Im Vergleich zu dem thematisch ähnlichen, ungefähr zur gleichen Zeit entstandenen „The Father“ geht „Falling“ das Thema Demenz weniger experimentell, merklich konventioneller an. Doch auch Mortensens Film macht inszenatorisch klar, wie sich Willis‘ Wahrnehmung verschiebt, wie er Personen in seinem Leben (etwa seine beiden Ehefrauen) verwechselt und wie er Ereignisse durcheinanderbringt. Die immer wieder eingestreuten Rückblenden verdeutlichen dabei einerseits das Krankheitsbild des herrischen Cholerikers und erläutern, woher einige seiner Ideen und Irrtümer herkommen, enthüllen andrerseits erst nach und nach das komplette Bild einer verkorksten Familiengeschichte, in die man immer tiefer eintaucht, wodurch auch eine Form von Spannung aufgebaut wird.
Gleichzeitig beschäftigt sich „Falling“ glaubwürdig mit dem Thema Demenz, zeigt dass Erkrankte mal bessere und mal schlechtere Tage haben und dass sie biestig werden können, wenn sie sich ihrer eigenen Schwäche bewusst werden. Dass Willis schon zu klaren Zeiten kein einfacher oder sympathischer Mensch war, dient hier noch als dramaturgischer Katalysator. So wird anhand des Figureninventars durchgespielt, wie verschiedene Personen auf die Tiraden und Launen des Demenzkranken reagieren, wobei John mit seiner stoischen Bestimmtheit die vermeintlich beste Lösung gefunden hat: Er macht nie einen auf Friede, Freude, Eierkuchen, sondern spricht Klartext mit dem alten Griesgram, zeigt sich aber auch nie enttäuscht vom dem Misanthropen, der zwischenzeitlich auch immer wieder mal zarte Momente hat.
Bei allen Ambitionen tritt dieses ruhig inszenierte Drama dramaturgisch ein wenig auf der Stelle. Mortensen forciert keine Entwicklungen aus heiterem Himmel, lässt die Erkrankung des Vaters nicht urplötzlich schlimmer werden, was sicher realistisch ist, aber zumindest im Gegenwartsplot auch wenig Entwicklung bedeutet. Das Vater-Sohn-Verhältnis bleibt stets auf die gleiche Art angespannt, nur dass das Publikum es am Ende besser versteht, da „Falling“ die Hintergründe weiter ausgebreitet hat und gezeigt hat, was beispielsweise aus Gwen nach der Trennung wurde oder wie es zwischen Willis und Jill später weiterlief. Das Ende ist dann auch eher konventionell, auch wenn es in seiner Erwartbarkeit durchaus konsequent ist.
Darüber trösten die starken Schauspielleistungen hinweg. Viggo Mortensen („Tripwire“) spielt den homosexuellen Sohn abseits althergebrachter Klischees. John ist ein facettenreicher Mann: Pilot, früherer Navy-Angehöriger, liebender Vater, Quasipfleger des dementen Willis, ebenso vielschichtig von Mortensen verkörpert. Noch stärker ist Lance Henriksen („Der letzte Samurai“), der Willis zwar als mürrisches Ekelpaket spielt, diesen aber nie zu einer eindimensionalen Schreckschraube werden lässt. Henriksen spielte schon in „Appaloosa“ an der Seite von Mortensen, der sich noch mehr Verbündete für diesen Film holte: Body-Horror-Spezialist David Cronenberg, unter dessen Regie Mortensen in „A History of Violence“, „Eastern Promises“ und „Eine dunkle Begierde“ zu sehen war, hat passenderweise einen Part als Proktologe. Für einen weiteren Touch Starpower sorgt Laura Linney („Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows“), die als Johns Schwester jedoch in nur einer Szene dabei ist. So setzen einige eher unbekannte Gesichter die größeren Nebenrollenakzente, etwa Terry Chen („Birth of the Dragon“) als Johns Ehemann oder Sverrir Gudnason („Verschwörung“) als jüngerer Willis, der damals ein herrischer Wichtigtuer war. Gudnason spielt ihn als einen Mann, der sich seine eigene Macht und Bedeutsamkeit dadurch beweisen will, dass er andere unterbuttert.
So erweist sich „Falling“ aufgrund seiner Darstellerriege, vor allem seiner zwei toll aufgelegten Leads als stark gespieltes Drama über Verwandtschaft, Vergebung und Verlust, welches das Thema Demenz durchaus realistisch aufarbeitet. Ein eher konventioneller Film, dramaturgisch nicht immer hundertprozentig rund, aber dennoch ein Beweis dafür, dass Mortensen auch hinter der Kamera Talent hat.
Hierzulande hat Prokino „Falling“ auf DVD veröffentlicht, freigegeben ab 12 Jahren. Das Bonusmaterial umfasst Trailer, ein Interview mit Viggo Mortensen, ein Making Of und ein Q&A via Zoom mit Mortensen, Laura Linney und Lance Henriksen, das von Werner Herzog moderiert wird.
© Nils Bothmann (McClane)
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