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Zeuge des Wahnsinns

Originaltitel: The Comeback__Herstellungsland: Großbritannien__Erscheinungsjahr: 1978__Regie: Pete Walker__Darsteller: Jack Jones, Pamela Stephenson, David Doyle, Bill Owen, Sheila Keith, Holly Palance, Peter Turner, Richard Johnson, Patrick Brock, Penny Irving u.a.

Zeuge des Wahnsinns Banner

Zeuge des Wahnsinns

Mediabook Cover B von “Zeuge des Wahnsinns”

Ein abendlicher Schwenk über die Themse, samt Big Ben und Parlament im Hintergrund, und das in einem Pete-Walker-Thriller… darauf hätte man nun auch nicht gerade Wetten abgeschlossen. Die moderne Weltkultur ist präsenter denn je in „Zeuge des Wahnsinns“, einem Spätwerk Walkers, der seine Leinwand zuvor eigentlich fast immer weit draußen auf dem Lande aufgestellt hatte, wo die Skyline der Großstadt allenfalls ein Schemen am Horizont war.

Natürlich sind es immer noch abgeschiedene Bauwerke aus vergangenen Zeiten, in denen die entscheidenden Plot Points angelegt sind. Als zentrales Setpiece tritt das Foxwarren Park Mansion im südenglischen Surrey unterhalb Londons in Erscheinung, ein viktorianisches Landhaus, das sich mit seinen vielen Giebeln in verschiedenen Höhen und Breiten auch wunderbar als Schauplatz eines klassischen Schauerstücks qualifiziert hätte. Statt einer Gruselgeschichte spielt sich unter seinen Dächern nun ein psychologisches Terrorspiel ab, als ein frisch aus New York heimgekehrter Popsänger sich dazu entschließt, nicht mehr in sein modernes City-Loft zurückzukehren, sondern sich lieber in das alte Landgut einquartiert, um dort sein neues Album zu schreiben. Doch die beiden Hausverwalter benehmen sich merkwürdig, immer wieder ertönt das flehende Wimmern einer jungen Frau und vor der Schlafzimmertür hockt eines Nachts eine verwesende Leiche im Sessel… spielt dem Musiker jemand einen Streich oder verliert er langsam den Verstand?

Die Kollision unvereinbarer Welten ist das bestimmende Motiv im Skript von Murray Smith, der bereits einige frühe Filme Walkers geschrieben hatte, bevor der sich gemeinsam mit Autor David Gillivray seiner fruchtbarsten Phase zuwandte, als er Kirche, Justiz und Sozialsystem mit spitzem Werkzeug demontierte. Smith hingegen meidet das Eintauchen in die blinden Flecken des britischen Systems und verweist lieber auf globale bzw. allgemeingültige Entwicklungen. London scheint mit anderen Weltstädten wie New York näher verbunden zu sein als mit dem eigenen lokalen Umland, eine kurze Einstellung eines landenden Flugzeugs reicht, um die Kontinente miteinander zu verknüpfen. In der Hauptrolle finden wir mit Jack Jones nicht etwa nur einen echten Sänger vor, der hier einen seiner wenigen schauspielerischen Auftritte absolviert, sondern zugleich einen Amerikaner, der selbst in seiner Karriere so manchen internationalen Hit geschmettert hat (wie etwa das „Love Boat“-Theme). Selbiges soll er auch in seiner Rolle als Nick Cooper tun. Mit David Doyle (Bosley aus „Drei Engel für Charlie“) steht zumindest ein weiterer Amerikaner im Cast, für die Rolle der Linda, die schließlich mit der aus Neuseeland stammenden Pamela Stephenson besetzt wurde, waren zeitweise auch Kim Basinger und Melanie Griffith im Gespräch.

Dementsprechend ist „Zeuge des Wahnsinns“ ein Film der Kontraste von global und regional, von alt und neu. Ein fabrikneues Sony-Tonbandgerät lässt in dem staubigen Altbau kontemporären Pop erschallen, der Veränderungsdrang der Außenwelt stößt auf die Unveränderlichkeit des verlorenen Fleckens englischer Erde, die umgeben ist von Jahrhunderte alten Eichen. Im Grunde ist der gesamte Film eine einzige lange Parallelmontage, in der die beiden zentralen Setpieces, das Foxwarren Mansion nämlich sowie das Apartment in der Stadt, miteinander in Bezug gesetzt werden.

An letztgenannter Stätte ereignet sich bereits früh ein bestialischer Mord, verübt von einer als Vettel verkleideten Gestalt mit Sichel. Walker inszeniert diesen Mord mit scharfen Verweisen auf Alfred Hitchcock: Trockener Suspense-Aufbau, dann harte Schnitte, assoziative Montage und ein blutiges Ergebnis, das während der folgenden Handlung zu gären beginnt, weil es die Hauptfigur entgegen der Konventionen niemals zu ihrem alten Wohnort zurückführt. Das lässt die gelegentlichen Besuche von Nebenfiguren in der steril eingerichteten Wohnung ironischerweise fast gespenstischer wirken als die Sequenzen um den Sänger im viktorianischen Herrenhaus, denn man sieht praktisch live dabei zu, wie sich der einstmals am Puls der Zeit befindliche Schauplatz langsam in einen „Lost Place“ verwandelt, zumal er in einem Altbau mit umständlich zu bedienendem Aufzug (immer wieder wird auf die großen Zahnräder geschnitten, die ihn ratternd in Bewegung versetzen) versteckt und so vor der Öffentlichkeit gewissermaßen verborgen ist.

Schaut in den Trailer

httpv://www.youtube.com/watch?v=lhdFiw-tOCU

Nicht, dass man es uns auf dem alten Anwesen viel gemütlicher machen würde. Walkers Stammschauspielerin Sheila Keith öffnet die große Eingangstür mit dem verschlagenen Blick einer Bediensteten des Grafen Dracula, womit sie nicht etwa nur die alte Schule des klassischen Horrors heraufbeschwört, sondern sich aktiv als roter Hering anbietet, gewissermaßen sogar schon auffällig mit ihren roten Schuppen blinzelt, um wahrgenommen zu werden; ebenso wie der brummige Gärtner (Bill Owen), wohl ohnehin der Klischee-Charakter eines jeden Whodunit, den man alleine seines Berufs wegen stets im Verdacht hat. Aber auch im Bekanntenkreis der Hauptfigur, auf der Seite der Moderne also, gibt es allerhand Verdächtige: Den Musikproduzenten (David Doyle) etwa, der in unbeobachteten Momenten überraschende Seiten seiner Persönlichkeit preisgibt und der vor allem durch den Filmschnitt mit den Morden in Verbindung gesetzt wird. Oder der beste Kumpel Harry (Peter Cunningham), der sich durchweg respektlos bis ordinär verhält und mehr als einmal die Grenzen der Höflichkeit weit überschreitet. Auf all diese verdächtigen Charaktere reagiert Jack Jones mit einer durchaus interessanten schauspielerischen Strategie: Er begegnet ihnen jeweils so unvoreingenommen wie nur möglich und verhält sich so neutral wie es eben geht, wenn man mit modrigen Leichen konfrontiert wird. Sein Spiel ist erfrischend lässig, ohne dass er dabei jemals den Eindruck erweckte, er stünde über den Dingen. Selbst wenn er sich damit gewissermaßen nur selbst spielen sollte, passt er damit ideal in die Rolle. Ferner zehrt seine Besetzung von einer reizvollen Doppelbödigkeit, insofern er als hauptberuflicher Sänger einen ebensolchen auch spielt – ein Konzept, das wohl alternativlos war, standen doch neben Jones auch Cat Stevens und Ringo Starr auf der Casting-Liste. Pamela Stephenson hingegen wirkt hier und da ein wenig desinteressiert an dem, was sie darstellt; eine Basinger oder Griffith hätte man sich an ihrer Stelle tatsächlich sehr gut vorstellen können.

Walker investiert viel Energie in dieses altmodische Whodunit-Spiel, was auch damit begründet ist, dass er unentwegt versucht, traditionelle Elemente ins Gegenteil zu verkehren, insbesondere was Geschlechterrollen angeht. So findet sich ausgerechnet Popidol Jones in allerhand Situationen wieder, die genre-üblich eher dazu gedacht sind, Frauen in eine bedrohliche Lage zu manövrieren. Umgekehrt läuft der Killer, hier wieder der offensichtliche Verweis auf „Psycho“, entgegen des Regelwerks in weiblicher Identität Amok. Der Transvestitismus einer Nebenfigur wird als weiterer roter Hering in den Eimer geworfen und steht zugleich symbolisch dafür, dass man sich auch als Zuschauer von stereotyper Genre-Logik lösen sollte, um nichts anderes als das Unerwartete zu erwarten. Dies zu arrangieren, erfordert jedoch viel Zeit und Sorgfalt. Ehe man sich versieht, ist der Thriller zum waschechten Slow Burner geraten, mehr noch als ohnehin üblich in den dialoglastigen Filmen, die man vom Regisseur gewohnt ist. Um das recht überschaubare Personenkarussell nämlich möglichst lange im Rennen zu halten, bleibt der Bodycount sehr gering, was allerdings im Umkehrschluss dazu beiträgt, den drastischen Mordszenen in ihrer Seltenheit wenigstens zu einer karnevalistischen Hysterie zu verhelfen. Wenn man dem Regisseur seine Erfahrung ansieht, dann wohl definitiv daran, wie er gelernt hat, mit wenigen Mitteln maximale Intensität zu erzielen. Die zwei, drei übel zugerichteten Leichen fungieren auf die 100 Minuten verteilt als Wachmacher und Antriebsfedern, die ehemals so präsente Nacktheit ist sogar endgültig als überflüssiges Dekor identifiziert und deswegen fast vollständig aus der Handlung verbannt.

Dass „Zeuge des Wahnsinns“ nicht mehr ganz die Relevanz seiner unangenehmen Gesellschaftskommentare aus den mittleren 70ern erreicht („Haus der Peitschen“, „Haus der Todsünden“, „Frightmare“), liegt hauptsächlich am soliden, aber trotz seiner Versuche, Konventionen auf links zu drehen, eher klassischen Drehbuch, das in globalen Mustern nach menschlichen Abgründen sucht anstatt gezielt britische Eigenarten zu sezieren. Walker selbst hingegen bleibt auf das Wesentliche konzentriert und wirft konsequenter denn je alles über Bord, was nicht unmittelbar im Dienste der Handlung steht. Das Ergebnis ist ein Psychothriller mit äußerst langsamem Tempo, aber guten Darstellern und zwei, drei Mordsequenzen, die in ihrer Radikalität die Weichen für die kommende Ära des Slasher-Films gelegt haben könnten. Vor allem aber gelingt es dem Regisseur, über den Abspann hinaus eine geisterhafte Stimmung zu etablieren, die nicht länger untrennbar mit alten englischen Anwesen verknüpft ist, sondern selbst in Großstadt-Apartments immer noch spürbar ist.

06 von 10

Informationen zur Veröffentlichung von “Zeuge des Wahnsinns”

The Pete Walker Collection No. 5

In der inzwischen fünften Ausgabe der „Pete Walker Collection“ von Wicked Vision geht es weiter zurück und gleichzeitig weiter nach vorne in der Filmografie des britischen Regisseurs als jemals bisher. Während „Zeuge des Wahnsinns“ zu seinem Spätwerk zu zählen ist (nur zwei weitere Filme folgten danach noch), finden wir auf der Kollektion ferner noch eine seiner frühen Erotikkomödien vor, „School for Sex“ von 1968. Somit kommt man zum ersten Mal in den Genuss gleich zweier Walker-Filme in einer Edition.

Weil die potenzielle Käuferschaft wohl generell lieber Zeuge von Wahnsinn wird als von einer staubigen Sex-Klamotte mit mehr als einem halben Jahrhundert auf dem Buckel, verwundert es kaum, dass Letztere lediglich im Bonusmaterial als Schmankerl beigelegt ist und die Edition ganz und gar unter dem Banner „Zeuge des Wahnsinns“ läuft. Was uns nicht daran hindern soll, später noch einen detaillierten Blick auch auf das Frühwerk zu werfen. Dennoch, in erster Linie dreht sich alles um den Psychothriller mit Jack Jones in der Hauptrolle. Wie fast alle Walker-Filme feierte auch dieser in Deutschland lediglich eine Videopremiere und lief nie im Kino. Bis ins Jahr 2008 hinein galt er sogar als indiziert, heute ist er nun mit einer FSK16-Freigabe frei erhältlich.

Laut Wicked Vision handelt es sich um eine europäische HD-Premiere. Allerdings lassen sich im Internet auch Hinweise auf eine 2016 erschienene spanische Blu-ray unter dem Titel „Los Crimenes del Atico“ finden. Zumindest in den USA erschien bereits 2013 eine Blu-ray über Redemption. In Deutschland hingegen war die 2008 erschienene Eyecatcher-DVD bislang noch die beste Wahl, obgleich sich darauf kaum Extras befanden und auch nicht das Original-Bildformat verwendet wurde.

Bei dieser Ursprungslage ist dann auch nicht mehr die Frage, ob es sich bei der neuen Blu-ray um die beste deutsche Edition des Films handelt, sondern nur noch, welche Vorzüge sie im Einzelnen bietet. Das wollen wir uns nun einmal im Detail ansehen.

Die Verpackung

Zeuge des Wahnsinns Mediabooks

Die Mediabook-Ausgaben der “Pete Walker Collection No. 5”.

Sofern die Kaufentscheidung bereits gefallen sein sollte, ist bereits gleich die nächste Entscheidung zu treffen: Welches der drei Cover-Motive soll denn ins Regal wandern? In Sachen Limitierung nehmen sie sich alle nichts, jedes Motiv ist auf 333 Einheiten limitiert. Bei Cover A handelt es sich um das Originalplakat, das bereits für diverse VHS- und DVD-Editionen genutzt wurde. Der knallrote Hintergrund mit den abstrakten schwarzen Klecksen passt nicht nur hervorragend zur ersten Mordszene des Films, sondern greift auch den sterilen Popart-Stil im Apartment auf. Die Collage aus Leiche und Hauptdarsteller symbolisiert die Kollision zweier unterschiedlicher Welten, mit der Ratte und ihrem Fortsatz in Form des Mordinstruments wird kreativer Schindluder getrieben. Beim zur Besprechung vorliegenden Cover B könnte eventuell ein italienisches Poster Pate gestanden haben, in jedem Fall ist es ebenso wie Cover A keine Neuanfertigung, sondern dürfte Teil des ursprünglichen Promotion-Materials sein. Die Stimmung des Films trifft es mit seinen nocturnalen Farben und Motiven nicht besonders gut, immerhin haben wir es weder mit einem Werwolf- noch mit einem Geisterhausfilm zu tun; atmosphärisch ist es allerdings für sich betrachtet extrem verführerisch gestaltet und sorgt mit seiner geometrischen Gewichtung von Lichtsetzung (die geschwungene Sichel, das Mondlicht) für eine spannende Dynamik. Auch vom dritten Motiv geistern im Netz ältere Poster herum, also muss auch dieses aus den Archiven stammen. Jack Jones singt hier gerade seinen neuen Song ein, während sich die alte Vettel von hinten nähert und eine Axt schwingt – eine Szene, die in der Form im Film nicht zu finden ist, sondern vielmehr symbolisch zu verstehen ist. Durch die knautschige Visage der Alten, die comichafte Haltung der Axt (inklusive Illustration des Schwungs) und das verzogene Gesicht des singenden Jones wirkt die gesamte Zeichnung ein wenig „clumsy“, darf sich dies mit Blick auf den Inhalt aber durchaus erlauben.

Wenigstens in der vorliegenden Cover-B-Variante sind die beiden Discs sowie das Booklet-Cover mit Poster-Elementen des A-Motivs verziert. Niedlicherweise ist das Poster von „School of Sex“ mit dem Hinweis „Bonusfilm!“ zusätzlich in der unteren linken Ecke auf die Blu-ray aufgedruckt. Auf der DVD finden wir diesen Hinweis nicht, da „School of Sex“ lediglich auf die Blu-ray aufgespielt wurde und nicht auf die DVD; ansonsten sind beide Datenträger vollkommen inhaltsgleich.

Das Booklet

Das geklammerte Booklet besteht wie üblich aus 24 Seiten und hat gleich zwei Abhandlungen zu bieten, jeweils eine für jeden Film. Christoph N. Kellerbach beschäftigt sich in seinem Text „Pete Walkers subversiver Proto-Slasher – Ein detaillierter Blick auf die Entstehung von ‘Zeuge des Wahnsinns’“ auch mit der englischen Kinolandschaft zur Entstehungszeit des Films, macht er diese doch für den ausbleibenden Erfolg des Streifens verantwortlich, dem er einiges abzugewinnen scheint. Davon ausgehend befasst er sich en detail mit vielen Merkmalen, die dem Film im Endeffekt sein Gesicht geben, etwa mit dem charismatischen Schauplatz des Films oder der ungewöhnlichen Personalie in der Hauptrolle, aber auch mit dem übrigen Cast, dem Drehbuchautoren oder Walkers speziellen Eigenarten, um schließlich zu dem in der Überschrift vorgegriffenen Schluss zu kommen, dass es sich hier um einen Vorboten für spätere weltbekannte Slasher-Werke wie „Halloween“ oder „Freitag, der 13.“ handeln muss. Thorsten Hanisch nutzt in „Sex – Retter des britischen Kinos“ eine ähnliche Taktik, nur dass er in diesem Fall nicht den Misserfolg von „Zeuge des Wahnsinns“ Ende der 70er, sondern den Erfolg von „School for Sex“ Ende der 60er anhand der britischen Filmlandschaft zu ergründen versucht. Dabei lässt er in Nebensätzen äußerst interessante Details fallen, wie etwa die Beobachtung, dass einer der glotzenden Besucher im Stripclub optisch einem damaligen Vorstandsmitglied der BBFC ähnelt. Der insgesamt doch recht harmlosen Klamotte wird durch kleine Details wie diese durchaus satirischer Sprengstoff angebunden, der ihn zumindest historisch recht interessant wirken lässt. Generell ist es schön, dass „School for Sex“ auf diese Weise ein wenig aufgewertet und über den Status reinen Bonusmaterials erhoben wird. Demzufolge wollen auch wir uns an dieser Stelle etwas genauer mit ihm befassen.

School for Sex

Originaltitel: School for Sex__Herstellungsland: Großbritannien__Erscheinungsjahr: 1968__Regie: Pete Walker__Darsteller: Derek Aylward, Rose Alba, Bob Andrews, Vic Wisel, Hugh Latimer u.a.
School for Sex

Lord Wingate (Derek Aylward) kommt da gerade eine Geschäftsidee!

Armer Lord Wingate! Erst wird er gleich von mehreren geehelichten Damen geschröpft, die es am Ende alle bloß auf sein Geld abgesehen haben (wer hätte das denn ahnen können), dann steht er auch noch vor Gericht, weil er sich mit nicht ganz so legalen Methoden gegen seine Notlage zu wehren wagte. Doch da kommt ihm eine Idee: Warum nicht die gesammelten Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht nutzen, um das eigene Vermögen wieder aufzubauen? Willkommen in der „School for Sex“, der Adresse für junge Dinger, wo die Methoden der Verführung gelehrt werden, um alte Geldsäcke zu identifizieren und anzubohren – und um ein Drittel der Beute an Lord Wingate zu entrichten…

Eine gewisse Umständlichkeit durchzieht diese Frivolität aus den sündigen Jugendjahren Pete Walkers, beinahe so, als sei es nötig, den Herrn von Welt durch eine raffinierte Story für eine erotische Komödie zu begeistern. So vergeht nahezu eine Stunde (von insgesamt 80 Minuten), bis die titelgebende Schule ihre Pforten eröffnet. Bis dahin wird die missliche Lage der Hauptfigur über ihre eigene Off-Stimme rekapituliert, die Motivation und Entstehung der Idee ergründet und das Personal im englischen Hinterland rekrutiert, welches in seiner altbackenen Anmutung schon mal einen Vorgeschmack auf jenes England gibt, das später im filmhistorisch wichtigeren Spätwerk des Regisseurs demontiert werden sollte. Anders als dort schrieb Walker das Drehbuch hier noch selbst und verzettelt sich prompt bei dem Versuch, einen simplen Zugriff auf sein Material zu bekommen, das ja nun nicht gerade mit Shakespeare konkurriert.

Dabei war „School for Sex“ durchaus von kommerziellem Erfolg gekrönt, was wohl nicht zuletzt mit dem Zeitpunkt seines Erscheinens zusammenhing, nahm die sexuelle Revolution Ende der 60er doch ihren Lauf. Ein Umstand, von dem gerade Walker aktiv profitierte, produzierte er bis dahin doch vor allem kurze Nudies auf 8mm, die unter der Ladentheke verkauft wurden. In einer solchen Situation ließ man sich als ausgehungertes britisches Publikum einen Farbfilm mit erhöhten Anteilen von Rosa vermutlich gerne gefallen und Walker kam diesem Wunsch nur zu gerne nach.

Um so erstaunlicher, dass es ihm trotz der unnötig komplizierten Erzählweise gelingt, einen heiteren, unverbindlichen Ton zu etablieren, mit dem sich diese Trivialität ohne größere Schäden überstehen lässt. Und trivial ist sie nicht einmal in allen Belangen, denn es zeugt von einem gewissen kreativen Vermögen und handwerklicher Kompetenz, wenn man dem Betrachter mit so wenigen Mitteln in so mancher Szene doch ein aufrichtiges Schmunzeln zu entringen weiß. So stellt der Regisseur eine gute Beobachtungsgabe beim Umgang mit dem voyeuristischen Publikum unter Beweis, das er in einer Szene in einem Stripclub wie eine Collage von Comicfiguren karikiert: Einer mit Popeye’schem Stielauge, einer mit einem Grinsen aus dem großen Buch des britischen Lächelns, einer mit einem geistlosen Blick wie von einem frisch auferstandenen Zombie. Dem Zuschauer wird ein Spiegel aufgestellt, damit er sich nicht nur an den Reizen der leicht bekleideten Damen delektiert, sondern immer auch einen Blick darauf hat, welches Prachtbild er gerade selbst abgibt.

Derek Aylward liefert in der Hauptrolle derweil eine durchaus charmante Parodie auf den typisch englischen Lebemann mit seinen süffisant gehobenen Augenbrauen und seiner nonchalanten Es-kommt-wie-es-kommt-Art. Auch der gebrechliche Butler und das primitive Kraftpaket aus dem Angestelltenkreis des Lords geben wunderbare Comic Reliefs ab. Rose Alba wiederum, die im Bondstreifen „Feuerball“ einen kurzen Auftritt hatte, verströmt als alternde Männerfresserin einen Hauch von Hollywood-Glamour in dieser No-Budget-Produktion. Die jüngeren Mädchen hingegen, die den Film in luftiger Kleidung, barbusig oder manchmal auch unbekleidet verbringen, bewegen sich unsicher bis ungelenk über das Set und ersticken dadurch trotz viel nackter Haut jede Erotik im Keim.

„School of Sex“ ist aus heutiger Sicht schon ziemlicher Unsinn und auch längst nicht mehr anregend oder anderweitig übermäßig hervorhebenswert, allerdings auf seine Art doch erstaunlich amüsant und wortgewandt.

04 von 10

Bild und Ton von “School for Sex”

Marktwirtschaftlich ist es sicherlich sinnvoll, einen solchen Film eher im Bonusmaterial zu verarbeiten anstatt ihn solo auszuwerten, in Bezug auf seine technische Präsentation hätte hingegen wenig dagegen gesprochen. Allenfalls das Fehlen einer deutschen Synchronfassung wäre ein Malus gewesen. Deutsche und sogar englische Untertitel sind aber so oder so auch hier an Bord. Der englische Originalton liegt in DTS-HD Master Audio 2.0 vor und bietet inhaltlich wie akustisch gut verständliche Dialoge und Musik, ohne dass anderweitig groß der Bär steppen würde. Das Bild kommt in 1080p mit dem Format 1,85:1 und liefert gemessen am Alter und Budget des Filmes eine mehr als respektable Qualität. Über die ersten ein, zwei Minuten sollte man großzügig hinwegsehen, hier könnte man noch meinen, man blicke auf eine abgefilmte Leinwand, danach wird es aber angemessen scharf und die Optik erreicht durch das ausgeprägte Filmkorn und die Sepiafarben den Walker-typischen Schmuddel-Look – genau so, wie es sein soll. Überdies ist der Film in 15 Kapitel aufgeteilt. Wir haben es also mit einer vollwertigen Gesamtpräsentation zu tun, die selbst einem Einzel-Release genügt hätte, hier aber quasi gratis zum Hauptgang gereicht wird.

Bild und Ton von “Zeuge des Wahnsinns”

Auch „Zeuge des Wahnsinns“ weiß durchaus seine Vorzüge ins rechte Licht zu setzen. Walkers visueller Stil strömt auf Anhieb durch den Transfer, wenn sich das matte Licht über Londons Peripherie auf dem Film niederlegt; nicht einmal die ungewohnten ersten Aufnahmen aus der Großstadt können verschleiern, dass man es mit einem Walker-Original zu tun hat. In den Szenen im Apartment wird viel im Gegenlicht gefilmt und es werden Weichzeichner eingesetzt, um eine traumähnliche Atmosphäre zu erzeugen. Im Anwesen hingegen wird vermehrt mit Schattensetzung gespielt, obwohl auch hier künstliche Lichtquellen zum Einsatz kommen, etwa in der fast schon industriell wirkenden Küche. All diese optischen Eigenschaften des Films werden durch das äußerst saubere Master konserviert und nahezu verlustfrei auf den Bildschirm projiziert.

Beim Ton darf man anders als beim Bonusfilm zwischen Deutsch und Englisch auswählen (beide DTS-HD MA 2.0). Interessant ist dabei, dass die deutsche Synchronisation über den gesamten Film hinweg eigenmächtig gewisse inhaltliche Anpassungen vornimmt, die den Inhalt aber nicht einmal unbedingt verschlimmbessern, sondern je nach Sichtweise sogar bereichern, da sie gewisse Mängel der Originalfassung ausbügeln, indem sie einige Aspekte ausführlicher ausbreiten und mit mehr Background versehen.

Interview

Regisseur Pete Walker und Hauptdarsteller Jack Jones sprechen in der Featurette “Slasher Serenade” über ihre Arbeit an “Zeuge des Wahnsinns”.

Die Audiokommentare

Das ist auch eine der vielen Informationen, die im deutschen Audiokommentar mit dem eingespielten Team Dr. Gerd Naumann, Matthias Künnecke und Christopher Klaese bereitgestellt werden. Das Trio hat sich viele tiefgehende Gedanken über den Film gemacht und erfreut mit wissenswerten Insider-Details und interessanten Interpretationsansätzen, die aber nicht einmal in Stein gemeißelt sind; es bleibt innerhalb des Kommentars immer noch genug Platz, um mögliche Interpretationslücken zu identifizieren und zu schließen, was der Diskussion unter dem Strich eine angenehme Dynamik verleiht. Zusätzlich ist noch ein englischer Kommentar mit Regisseur Pete Walker dabei, moderiert von Filmkritiker Jonathan Rigby – eine sehr spannende Mischung, gerade weil Rigby immer wieder neue Themen anstößt und Walker sich nicht scheut, die passenden Geschichten aus der Produktionsphase einzustreuen und die Dinge in den richtigen Kontext zu setzen. Mutmaßlich ist dieser Kommentar auch eine der Quellen für die deutschsprachigen Informationen, die im anderen Kommentar sowie im Booklet geteilt werden.

Das Bonusmaterial

Abgesehen vom Bonusfilm und den Audiokommentaren haben es auch ein paar weitere Extras auf die Disc geschafft. Die Featurette „Sheila Keith: A Nice Old Lady?“ (14 Min.) dürfte allen Komplettisten längst in den Ohren klingeln, wurde diese doch bereits auf drei der vier vorherigen Pete-Walker-Collections ausgewertet. Aber warum auch nicht, die Darstellerin war ja auch in all diesen Filmen zugegen und hat jeweils mächtig Eindruck hinterlassen. „“Slasher Serenade“ (13 Min.) hingegen ist eine exklusiv auf diesen Film zugeschnittene Featurette. 2012 von Kino Lorber / Redemption Films produziert, handelt es sich hier um einen dokumentarischen Zusammenschnitt von Interviews mit Pete Walker und Jack Jones, die ihre Erfahrungen und Erlebnisse während der Dreharbeiten ebenso weitergeben wie ihre Wahrnehmung von „Zeuge des Wahnsinns“ aus der Retrospektive. Walkers angenehm pragmatische Art kennen wir ja bereits aus früheren Interviews, aber gerade Jones sammelt durch seine lockere Art reichlich Sympathiepunkte, zumal man es schon allzu oft erlebt hat, dass sich Darsteller von früheren Sünden der Teilnahme an billigen Horrorstreifen distanzierten. Reue scheint für ihn keine Rolle zu spielen, im Gegenteil, es klingt, als habe er alles in allem eine gute Zeit gehabt.

Selbstverständlich gibt es auch noch den Originaltrailer sowie eine Bildergalerie mit Postern, Aushängen, Promos, VHS-Covern und zuletzt den Mediabook-Motiven. Lediglich der auf dem Backcover versprochene VHS-Vorspann ist leider nicht dabei. Aber an Gegenwert fürs Geld fehlt es trotzdem nicht. So darf es gerne weitergehen. Und das wird es laut Werbung auf der Rückseite des abnehmbaren Deckblatts hoffentlich schon bald mit dem 1971er Thriller „Die Screaming, Marianne“.

Sascha Ganser (Vince)

Bildergalerie

Zeuge des Wahnsinns

Erst den Dreck in der Bude verteilen und dann einfach liegen lassen. Typisch Slasher!

Zeuge des Wahnsinns

Popstar Jack Jones singt sich quasi selbst.

Zeuge des Wahnsinns

Wenn der nervige beste Kumpel mal wieder ins romantische Dinner platzt.

Zeuge des Wahnsinns

Da hat sogar jemand eine Wache für der Schlafzimmertür positioniert. Wie lieb!

Zeuge des Wahnsinns

Sheila Keith und Bill Owen als höchst verdächtiges Haushälterpärchen Mr. und Mrs. B.

Zeuge des Wahnsinns

Das Foxwarren Mansion südwestlich von London gibt eine wunderbare Kulisse für einen Horrorfilm ab.

Zeuge des Wahnsinns

Und wenn man nicht mehr weiter weiß, kann man ja Bosley mal fragen, ob er seine drei Engel rufen kann.

Zeuge des Wahnsinns

Hinter dir! Ein dreiköpfiger Affe!

Sascha Ganser (Vince)

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