| Originaltitel: Un Lugar llamado dignidad__Herstellungsland: Argentinien / Chile / Deutschland / Frankreich / Kolumbien__Erscheinungsjahr: 2021__Regie: Matías Rojas Valencia__Darsteller: Hanns Zischler, Salvador Insunza, Claudia Cabezas, Victoria De Gregorio, Christiane Diaz, Luis Dubó, Giannina Fruttero, David Gaete, Alejandro Goic, Salvador Insunza, Amalia Kassai, Philippa Zu Knyphausen, Vivian Mahler, Gerardo Naumann, José Antonio Raffo, Ignacio Solari, Paulina Urrutia, Leonie Wesselow, Noa Westermeyer u.a. | 


Das Poster von „A Place Called Dignity – Kolonie der Schande“.
Eine Annäherung an das repressive Wirken des deutschen Sektenführers Paul Schäfer, der sich im Asyl in Chile über drei Jahrzehnte hinweg seinen eigenen kleinen Staat samt Gefolgschaft errichtet hatte, muss zwangsläufig von einer gewissen Unsicherheit geprägt sein. Sie entsteht aus der Frage, wie man sich dem Unvorstellbaren gewissenhaft annähert, das einst hinter verschlossenen Mauern geschah.
In den zugehörigen Filmadaptionen macht sich die Unsicherheit auch in einer Fluktuation der ausgewählten Genres und Stile bemerkbar. Wo Florian Gallenbergers „Colonia Dignidad – Es gibt kein zurück“ (2015) mit den internationalen Stars Emma Watson und Daniel Brühl noch wie ein waschechter Thriller des Weltkinos agiert, da wird das Grauen im Indie-Horror-Animationsfilm „La Casa Lobo“ (2018) bereits anhand von Malereien und Pappmaché-Figuren allegorisch verpackt und psychologisch verarbeitet.
Der chilenische Regisseur und Autor Matías Rojas Valencia versucht sich mit „A Place Called Dignity“ nun am Ansatz eines Dramas, das allerdings unter der stillen Wasseroberfläche den aufwühlenden Mechanismen des Horrorfilms gehorcht. Gelegentlich lässt er seine Wolfsaugen hinter dem Schafspelz aufblitzen, den er jedoch erst spät vollständig ablegt. Zu fröhlichem chilenischen Wetter und aufrichtigen deutschen Tugenden gewinnt die düstere Vorahnung mit jeder Minute an Gewicht, während sich die Anzeichen sammeln für die wahren Dimensionen der Unmenschlichkeit, mit der sich der Deutsche sein neues Umfeld untertan machte.
Während man dem alltäglichen Ablauf in der „Colonia Dignidad“ folgt, muss man oft an Guillermo del Toros Frühwerk „The Devil’s Backbone“ denken. Dokumentiert aus den Augen der Hauptfigur, einem chilenischen Jungen namens Pablo (Salvador Insunza), der umringt von deutschen Altersgenossen früh in die Isolation gedrängt wird, malt Valencia mit sanftem Strich das idyllische Trugbild einer mit perfider Propaganda unterfütterten Autokratie, an deren Horizont die Konflikte des Landes wie Gewitterwolken zu erahnen sind. Was bei Del Toro der spanische Bürgerkrieg war, ist hier die Pinochet-Diktatur. Militärische Kräfte walten in beiden Fällen, indem sie eine undurchdringliche Glaskuppel über den Handlungsschauplatz spannen und die vermeintliche Gedankenfreiheit zu einer Illusion geraten lassen.
Für die Etablierung dieses Mikrokosmos muss dabei nicht einmal schwarzweiß gemalt werden; das Feuer bekommt genug Zeit, sich auch ohne Beschleuniger zu verteilen. Gerade Hanns Zischler sorgt durch seine gemäßigte, gleichwohl ungeheuer präsente Verkörperung des Paul Schäfer für ein allmähliches Hineingleiten in die Ausweglosigkeit, indem er den Menschen hinter dem Monster transparent macht; ein wenig so, wie es Bruno Ganz mit Adolf Hitler in „Der Untergang“ (2004) anstellte. Das rückt vordergründige Werturteile des Films über seine eigenen Figuren zunächst in den Hintergrund, obschon es offensichtlich zu den Anliegen gehört, die völlige Entgleisung einer humanistischen Idee aufgrund krankhafter individueller Motive aufzuzeigen.
Das Produktionsdesign spielt zu diesem Zweck mit surreal bis traumartig ausgekleideten Innenraumaufnahmen, in denen jedes Möbelstück und jede Person exakt nach Maß arrangiert ist. Die Ausleuchtung ist oft grell, wie um eine Vorstufe des himmlischen Reichs zu simulieren, versinkt dann wieder in völliger Dunkelheit oder im diffusen Halblicht. Versammlungen wirken ausstaffiert wie Theaterstücke, das Publikum und die leeren Sitzreihen inbegriffen. Die deutsche Flagge flattert vor dem Hauptgebäude neben der chilenischen, die deutsche Sprache verdrängt das Spanische in Form von Befehlen und Parolen, die sich noch nicht völlig vom Nationalsozialismus entkoppelt haben. All dies bebildert aus den Augen eines Kindes, wohlgemerkt, das die Zeichen im Gegensatz zum Betrachter noch nicht zu kontextualisieren versteht.
Ist die Maske einmal gefallen, bleibt „A Place Called Dignity“ zwar seinem entschleunigten Tempo treu, um keinen Stilbruch zu riskieren, wird aber drastischer in seinen Mitteln, die Vorgänge hinter den Mauern der Schule transparent zu machen. Mitglieder werden in Ritualen nicht nur gedemütigt, sondern letztlich der Kommune auf unschöne Weise entzogen; im Bildhintergrund, still und unauffällig, während sich Generäle untereinander lachend über die Erträge ihrer Arbeit unterhalten. Eine Notwendigkeit, die Untaten Schäfers und seiner Handlanger grafisch darzustellen, entsteht nie, weil bereits das Gewicht ihrer Andeutungen permanent die Atmosphäre beschwert. Monströs gerät der Film dann zumindest durch einen Abstecher in die heidnische Folklore, als der weihnachtliche Auftritt des Krampus einen harten Schnitt setzt, eine erste Vorstufe nämlich für das Ende der Kindheit, das zu dem Zeitpunkt längst eines der zentralen Themen geworden ist.
Nebenher investiert Valencia viel Zeit darin, die perfiden Methoden nachzuzeichnen, mit denen Schäfer seine Anhänger kontrollierte. Dies macht sich insbesondere in einer Nebenhandlung rund um eine Krankenschwester (Amalia Kassai) bemerkbar, bei der unterdrückte Sexualität und Kinderwunsch in eine mechanische Spirale aus fatalen Entscheidungen geraten, bei der Recht und Moral völlig ihrer Bedeutung beraubt werden. Gerade hier kann sich dem aufmerksamen Betrachter ein Bild des Grauens in Form einer Gemeinde offenbaren, die wie ein Kollektiv fremdgesteuerter Roboter agiert, aus denen nur manchmal noch etwas Menschliches hervorlugt, zu hoffnungslos vergraben, um je wieder an die Oberfläche befördert zu werden.
Die Außenwelt erscheint bei alldem hermetisch abgeriegelt; nur vereinzelt stürmen verzweifelte Familienangehörige in die Kulisse und versuchen die Massenhypnose, durch deren Vorhang sonst nur die Hauptfigur blicken kann, zu durchbrechen. Valencia bleibt hier konsequent auf seiner Linie und lässt sich nicht zur Inszenierung eines Märchens umstimmen, indem er seinen Figuren Auswege liefert, was letztlich ausschlaggebend ist für die bedrückende Stimmung des Films.
Mit seinem aus klassischer Musik bestehenden Soundtrack, seinen einstudierten Posen und seinen leisetreterischen Andeutungen des Grauens mag „A Place Called Dignity“ so manchem Klischee des Nachkriegsdramas entsprechen, er birgt aber durchaus auch Überraschendes und dadurch Schockierendes. In letzter Konsequenz ist es ein trostloser, auch unterkühlter Film geworden, dem man womöglich sogar mangelnde Empathie vorwerfen könnte, weil er seine Hauptfigur völlig im Stich lässt, während er den Verlauf der Geschehnisse manchmal nur teilnahmslos zur Kenntnis zu nehmen scheint. Damit allerdings wird auch unnötiges Pathos vermieden. Und dennoch genug Schmerzhaftes an die Oberfläche gezerrt, um Emotionen zu erzeugen.

Informationen zur Veröffentlichung von „A Place Called Dignity – Kolonie der Schande“
Eine weite Distribution hat „A Place Called Dignity – Kolonie der Schande“ in den ersten Jahren seiner Existenz nicht erfahren. Immerhin bereits 2021 produziert, feierte die argentinisch-chilenisch-deutsch-französisch-kolumbianische Koproduktion im gleichen Jahr ihre Premiere beim „Black Nights Film Festival“ im estnischen Tallinn und startete im März des darauffolgenden Jahres zumindest noch in den chilenischen Kinos. Darüber hinaus ist allerdings nicht viel über eine weitere Verbreitung bekannt.
Die deutsche Veröffentlichung unter dem Titel „A Place Called Dignity – Kolonie der Schande“ ist somit gewissermaßen auch ein Lehrauftrag. Eine Schande wäre es nämlich gewesen, wäre diese kleine Perle ausgerechnet bei uns nicht erschienen. So aber ist die Scheibe aus dem Hause cmv-Laservision nun womöglich sogar eine weltweite Premiere, was offizielle Datenträger für das Heimkino angeht. Wer auf eine Blu-ray spekuliert hatte, wird allerdings enttäuscht: Bei diesem Titel hat man sich für eine DVD-Only-Veröffentlichung entschieden.

„A Place Called Dignity – Kolonie der Schande“ erscheint über cmv-Laservision erstmals auf DVD.
Die Verpackung
Und die grüßt recht freundlich aus einem handelsüblichen Amaray Keep Case. Auf der Front begrüßt uns ein weitgehend von dunkelgrünen Hintergründen dominiertes Motiv, über dem sich in gelben Großbuchstaben der Titel ausbreitet, erweitert um den in weiß abgedruckten Titelzusatz „Kolonie der Schande“. Zu sehen ist Hanns Zischler (als Paul Schäfer) in seinem Sessel versunken, während Salvador Insunza (als Pablo) neben ihm auf dem Boden hockt, sein Kopf an Schäfers Knie gelehnt.
Beide blicken direkt in die Kamera, wodurch die Illusion einer Albumfotografie erzeugt wird, was durchaus gut zu der um harmonische Außendarstellung bemühten Kommune passt, die im Film dargestellt wird. Ein wenig schade ist es dennoch um das hübsche Originalposter, dessen Collage aus deutschem Zierrat und chilenischen Berglandschaften noch etwas mehr hermacht. Geblieben ist davon lediglich das Banner mit dem Filmtitel, das am oberen Rand des Backcovers abgedruckt ist. Dort zu finden ist auch eine Inhaltsangabe sowie die technischen Spezifikationen vor einer Nahfotografie der Jungs, die in voller Montur in der Reihe stehen.
Vorne leuchtet in auffälligem Blau außerdem das FSK16-Siegel, doch ein kleingedruckter Hinweis verrät bereits, dass auf der Rückseite ein Wendecover zu finden ist, das abgesehen vom fehlenden FSK-Logo aber identisch ist mit der Vorderseite.
Die Menüs
Die DVD selbst ist mit gerade einmal 4 GB nicht gerade stark ausgelastet, was darauf hindeutet, dass nicht allzu viele Inhalte zu erwarten sind, wobei auch der Hauptfilm mit seinen gerade mal 95 Minuten Spielzeit nicht übermäßig viel Platz wegnimmt. Die Menüs sind musikalisch untermalt und animiert. Im Hauptmenü kann man zwischen dem Filmstart mit englischen oder deutschen Untertiteln, einer Kapitelauswahl (8 Kapitel) und den Extras auswählen.
Ton und Untertitel
Der Hauptfilm kommt mit nur einer Tonspur, und zwar dem Originalton. Dieser besteht zu gemischten Anteilen aus Spanisch und Deutsch in einem geschätzten Verhältnis von 2:1; optional lassen sich englische oder deutsche Untertitel in gelben Lettern hinzuschalten. die teils in den unteren schwarzen Balken reichen. Die deutschen Untertitel liegen nur über den spanischsprachigen Passagen, d.h. es handelt sich nicht um eine Untertitelspur für Hörgeschädigte.
Die Audioquelle ist eine Dolby-Digital-Spur in 5.1, die durchweg sauber, natürlich und präzise klingt. Gelegenheiten zur Räumlichkeit sind allerdings rar gesät; der überwiegend aus klassischer Musik bestehende Soundtrack sorgt bei Einsatz für Volumen und in ein, zwei Sequenzen wird es aus den Rear Speakern heraus auch mal etwas aufgeregter, doch ansonsten dominiert ganz und gar der Dialog. Dass dieser auch im fließenden Wechsel der gesprochenen Sprachen jederzeit gut verständlich bleibt, ist auch deswegen wichtig, weil hier in jedem einzelnen Satz viel Bedeutung mitschwingt.
Das Bild
Das Bild ist auf ca. 2,31:1 maskiert und liegt in einer Auflösung von 720×576 vor. In sehr hell ausgeleuchteten Szenen bilden sich im Hintergrund manchmal leichte Treppeneffekte und in zumindest einer sehr dunklen Szene kommt es zu leichten Kontrastproblemen. Ansonsten ist von einem durchaus soliden Transfer zu sprechen. Gemessen am Medium erreicht die Bildschärfe ein zufriedenstellendes Niveau. Die von blassen Pastelltönen bis zu rustikalen Holztönen reichende Farbgebung wiederum steht im Dienste des Films und seiner Inhalte, ebenso wie der bei Tageslicht aufgeweichte Kontrast, der manchmal wie die erste Stufe einer Weißblende wirkt, ein Effekt, der die vermeintliche Reinheit der Kolonie unterstreichen soll. So schade es ist, dass eine Blu-ray (womöglich aus rechtlichen oder schlichtweg marktwirtschaftlichen Überlegungen heraus) wohl bei diesem Titel keine Option war, so sehr ist die Disc um eine solide Präsentation bemüht.
Die Extras
Wie bereits vermutet, hat das Extras-Menü nicht allzu viele Punkte zu bieten: Es gibt den zweiminütigen Originaltrailer im Spanisch-Deutsch-Stereomix ohne Untertitel sowie einen vollständig auf deutsche Passagen gekürzten TV-Spot mit einer halben Minute Laufzeit. Darüber hinaus findet man noch eine animierte Bildergalerie (2:36 Min.), in der 22 Bilder – inklusive dezenter Zoom-Effekte – zu instrumenteller Begleitung abgespielt werden. Zum Abschluss gibt es noch einen Trailer zum DDR-Liebesdrama „Coming Out“ aus dem Jahr 1989, das gerade erst bei cmv in zwei limitierten Mediabook-Varianten erschienen ist.
Fazit
Summa summarum keine allzu auffällige Veröffentlichung, aber es ist zweifellos wichtig, dass „A Place Called Dignity“ überhaupt in vernünftiger Umsetzung erschienen ist… zumal eine mögliche Auswertung bei einem deutschen Streaming-Anbieter momentan noch in den Sternen steht.
Sascha Ganser (Vince)
Bildergalerie zu „A Place Called Dignity – Kolonie der Schande“

Hier wird gerade zum dritten Mal die Geschichte von Colonia Dignidad verfilmt.

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Sascha Ganser (Vince)
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