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Miss Zombie

Originaltitel: Miss Zombie__Herstellungsland: Japan__Erscheinungsjahr: 2013__Regie: Sabu__Darsteller: Ayaka Komatsu, Makoto Togashi, Tôru Tezuka, Riku Ônishi, Tateto Serizawa, Tarô Suruga, Takaya Yamauchi u.a.

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Miss Zombie Cover

Das Cover der “2-Disc Limited Special Edition” von “Miss Zombie”

Als George A. Romero 1985 mit „Day of the Dead“ den anthropomorphen Restspuren im verrottenden Fleisch seiner Zombies auf den Grund ging, tat er das mit wissenschaftlicher Neugier. Erstmals fand er zumindest in einem Exemplar seiner Untoten mehr als nur der Schatten einer zerfallenden Gesellschaftsordnung, mehr als das Schockbild, das uns an das Schlechteste unserer Lebensweise erinnert. Was, wenn hinter dem stöhnenden Mund und den rollenden Augen noch immer etwas Menschliches steckt; was, wenn der Zombie mehr ist als nur ein toter Organismus, der sich stur weigert, seine Prozessoren abzuschalten?

Ihn als empfindsames, bisweilen sogar sozial agierendes Wesen zu begreifen, ist Ausdruck einer Strömung, die sich längst weit über das harte Horrorkino hinaus in den Mainstream verbreitet hat. Es gibt inzwischen romantische Komödien („Warm Bodies“) und TV-Dramedies („iZombie“) über die leichenblassen Gehirn-Gourmets, die somit längst zum allgemeinen Kulturgut geronnen sind. Diese Entwicklung ging sicherlich auch einher mit dem seit einigen Jahren gestiegenen Interesse für Ausgestoßene, Nerds und schräge Vögel. Unserem Held mangelt es an Körperpflege, er hat Artikulationsschwierigkeiten und frisst Gedärme? Egal; er ist trotzdem liebenswert, denn er ist zumindest nicht so wie all die anderen austauschbaren Mitläufer da draußen, wie all diese Zombies

Für Sabu, der grundsätzlich gerne außerhalb vorgegebener Kastenformen denkt, ist die Emanzipation des Zombies von seiner Genre-Heimat eine denkbar gute Voraussetzung. Denn einen Film mit Zombies zu drehen, heißt ja längst nicht mehr, dass man auch tatsächlich einen Zombiefilm dreht. „Miss Zombie“ ist vielmehr experimenteller Kunstfilm; er bedient sich gewisser Konventionen und bekannter Schlüsselbilder, um das ursprüngliche Genre zu ätherisieren und dann in einen eigenen Kontext mit neu definierten Regeln zu überführen.

Gleichwohl ist der japanische Regisseur mit diesem Vorhaben womöglich ein wenig spät dran. In diesem Punkt eröffnen sich Parallelen zu Jim Jarmusch, der für „The Dead Don’t Die“ sogar noch einmal sechs Jahre länger brauchte, um Vergleichbares auf seinem Gebiet auszutesten. Aber auch 2013 existierten schon Filme wie „Fido“ (2006), in denen Zombies als Haussklaven eingesetzt wurden, oder „Deadgirl“ (2008) bzw. „The Woman“ (2011), die sich mit damit beschäftigten, wie weibliche Geschöpfe zu etwas Nicht-Menschlichem reduziert werden. Wenn Sabu nun die gleichen Schwerpunkte erneut setzt, lässt das seinen Ansatz zumindest aus der Ferne betrachtet wenig originell erscheinen.

Doch „Miss Zombie“ löst jegliche Skepsis binnen Sekunden in Luft auf. Dafür sorgt vermutlich die spezielle audiovisuelle Sprache, die durchgehend zum Einsatz kommt. Eigentlich sieht man in der ersten Szene nur einen Mann hinter einem Zaun, der telefoniert. Das fahle Schwarzweiß und das akustische Design, das kleine, nebensächliche Geräusche überproportional akzentuiert, lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass hier jemand weiß, wie er seine Zutaten einzusetzen hat.

Schaut in den Trailer

httpv://www.youtube.com/watch?v=qdp8m3A8MoU

Sabus Japan der Zukunft, in dem Zombies mit schwachem Infektionsgrad domestiziert und als Haushilfen eingesetzt werden, könnte ebenso gut ein Japan der Vergangenheit sein. Als Schauplatz dient ein Haus, das zwar recht modern eingerichtet ist, sich jedoch in ein regelrecht altertümliches Ambiente eingebettet findet: Rustikale Holzdielen mit weißem Anstrich und offene Räume versprühen von innen ein fast schon mediterranes Flair, während ein großer Hof mit Bruchsteinpflaster und ewig lange Steintreppen von außen etwas Ländliches einbringen. Das umliegende Dorf samt konservativer Bevölkerung übt derweil einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Atmosphäre aus. Recht früh schaut ein Vertreter des Dorfes vorbei, um den Einkauf der ungewöhnlichen Putzkraft zu verurteilen und ein paar unterwürfige Verbeugungen einzuheimsen. Hier schimmert noch der japanische Traditionalismus durch; insgesamt zeigt sich der Sabu als Regisseur und Autor hingegen massiv vom amerikanischen Film inspiriert. Als die Untote im Käfig angeliefert wird und den neuen Besitzern wie bei einem Haushaltsgerät Instruktionen zur Handhabung gegeben werden, erinnert man sich daran, wie die neuen Eltern des Roboterkindes in Steven Spielbergs „A.I.“ vom ausliefernden Unternehmen über die allgemeinen Geschäftsbedingungen aufgeklärt werden. Im wichtigsten Plot Point wird außerdem sehr deutlich „Frankenstein“ zitiert, ohne die entsprechende Szene überhaupt zeigen zu müssen; der Bezug ergibt sich lediglich über den Dialog und die Anschlusssituation. Und die Bezüge zum Untoten-Film enden nicht etwa bei der Romero-Strömung des „emotionalen Zombies“, sie reichen stattdessen bis hin zur Schmerzunempfindlichkeit der Mumie und der ewigen Melancholie des Vampirs, dessen Gebiss unter kalten, schwarzen Augen hin und wieder sogar zum Vorschein kommt.

Den eigentlichen Fokus verlegt Sabu aber fort vom profanen Monsterkino, um ihn auf das Triptychon des weiblichen Rollenbilds in der Gesellschaft zu verlegen: Die Frau als sexualisiertes Objekt, die Frau als Geliebte und die Frau als Mutter. Unterschiedliche Nebenfiguren werden genutzt, um pro Kapitel jeweils eines dieser Rollenbilder genauer zu betrachten. Die Passivität der zombifizierten Frau bleibt dabei stets monoton gleich. Ayaka Komatsu hat die Aufgabe, in Lethargie ihrer Routine nachzugehen und das scheußliche Verhalten ihrer Umwelt wortlos zu dulden. Aufgaben werden stets von außen an sie herangetragen, die jeweilige Rolle somit fremdbestimmt. Dieser Zustand fehlender Selbstbestimmung schwillt auf Höhepunkten zu einem Schmerz an, dessen gleißendes Rauschen wieder in den grellen Bildkontrasten reflektiert werden sowie im kontinuierlich lauter werdenden Geräusch einer Bürste auf dem Steinboden oder eines Küchenbeils, das schmatzend ein Filet durchdringt.

Der eigentliche Kunstgriff gelingt Sabu aber in den letzten Minuten, den er bereits ab Filmmitte vorbereitet, indem er die Zombie-Frau zum Spiegel der Familienmutter erklärt. Es ist also nicht Ayaka Komatsu, die auf Demütigung und Misshandlung seelisch zu reagieren hat, sondern Makoto Togashi, die für Komatsu einsteht, wenn es darum geht, der Emotion freien Lauf zu lassen. Für einen herausragenden Schlussakt ist somit gesorgt.

„Miss Zombie“ mag nicht gerade neue Dimensionen erschließen, bedenkt man, wie sich der Zombiefilm in den letzten 20 Jahren entwickelt hat. Für das Arthaus-Kino ist es immer gefährlich, Ideen aufzugreifen, die dem Genre-Kino und seinem reduzierten Publikum längst entkommen sind, um das Massenkino unsicher zu machen. Sabu gelingt aber, wozu Jim Jarmusch später nicht mehr imstande war: des Mainstreams liebstes Kind, den Zombie, mit sicherer Hand als Medium zu verwenden, um die eigene Vision kompromisslos umzusetzen.

8 von 10

Informationen zur Veröffentlichung von “Miss Zombie”

Sabu… wer?

Sabu und deutsche Releases? Eine vernachlässigte Kombination. Wenn sich ein Label noch am ehesten darum bemüht hat, dass seine Werke hierzulande bekannter werden, dann vermutlich Rapid Eye Movies, die zumindest einen Teil des Frühwerks („Wie eine Kugel im Lauf“, „Drive“) abdecken und zusätzlich „Mr. Long“ aus dem Jahr 2017. Zumindest bis Anfang der 00er Jahre ist das Meiste noch auf DVD von verschiedenen Anbietern zu bekommen, danach wird es aber schon düster. Bei „Miss Zombie“ sprang nun Wicked Vision ein und spendierte dem japanischen Arthouse-Werk gleich eine „2-Disc Limited Special Edition“.

Gleichwohl man den Spezialisten für bevorzugt klassischen Horror der 60er bis 80er inzwischen fast jede Filmsorte zutraut – wir erinnern uns an zwei Bronson-Actioner oder gerade erst eine Robin-Williams-Komödie – dürfte die Zombie-Thematik wohl bei der Entscheidungsfindung hilfreich gewesen sein. So oder so, es wurde höchste Zeit für einen Release. Schlimm genug, dass der Film bereits sieben Jahre auf dem Buckel hat, ohne dass man ihm bislang Beachtung geschenkt hat. Um so schöner, dass es jetzt endlich soweit ist.

Die Präsentation

Wie bei „Cadillac Man“ handelt es sich wieder um eine Standalone-Veröffentlichung, die nicht in die „Limited Collector’s Edition“-Reihe integriert wurde – was wohl die richtige Entscheidung ist, denn „Miss Zombie“ ist schon etwas anders als die anderen. Als Verpackung dient mal wieder ein Scanavo-Case mit DVD-Breite und Blu-ray-Höhe, ganz nach Vorbild der renommierten britischen Labels um Arrow und Konsorten, die bewiesen haben, dass sich auch Plastik als Verpackungsvariante für Prestige-Editionen eignen kann, vorausgesetzt, man spart nicht am Drumherum.

Auch diese Edition bietet natürlich wieder ein Wendecover, so dass man auf Wunsch den hässlichen blauen FSK16-Hinweis auf der Innenseite verstecken kann. Auch die in dezentem Grau gehaltene Banderole mit dem „Special Edition“-Hinweis verschwindet auf diese Weise. Zum Vorschein kommt das schwarzweiße Artwork mit pinken Akzenten, auf dem das vernarbte Gesicht von Hauptdarstellerin Ayaka Komatsu im Halbprofil zu sehen ist, während der unscharfe Hintergrund hinter ihr verschwimmt. Ein simples, aber aufgrund der Kontraste effektives Motiv, das die Stimmung des Films vortrefflich widerspiegelt. Auf der Rückseite wird es etwas konventioneller mit der wohl einzigen Massen-Zombiesequenz des Films; das Layout behält den Farbcode bei und frischt das Schwarzweiß auf, indem es einzelne Elemente pink hervortreten lässt. Außerdem erfahren wir, dass diese Edition auf 1.000 Stück limitiert ist.

Zombie-Lektüre

Im Inneren wartet ein Set aus Blu-ray und DVD, die jeweils den gleichen Inhalt bieten. Links eingeklammert ist außerdem ein Booklet, das diesmal nicht ganz so ausführlich ausfällt wie sonst. Immerhin 16 Seiten sind es noch, auf denen David Renske über den Film, den Regisseur und die Einflüsse aus dem amerikanischen, italienischen und französischen Kino reüssiert und dabei auch mit wenigen Worten zu einer sehr präzisen Filmanalyse kommt.

Grelle Lichter und schleifende Geräusche

Beim Hauptfilm ist die technische Umsetzung besonders wichtig, denn Sabu benutzt Bildgestaltung und Akustik verstärkt als narrative Bedeutungsträger. Die Schwarzweiß-Kompositionen seines Films nehmen immer wieder eine andere Gestalt an – mal wird überbelichtet, um die gewünschte Aussage zu treffen, mal betont detailreich gefilmt, so dass vom Expressionismus bis zum Naturalismus die gesamte Palette abgebildet wird. Das Bild gibt diese Eigenschaften perfekt wieder, indem es die unterschiedlichen Stilmittel in jeder Form unterstützt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Ton; egal ob Stille dominiert oder das immer lautere Schleifen der Bürste auf Stein, die Klangeigenschaften bieten eine glasklare Auflösung. Dabei darf man wählen zwischen dem japanischen Originalton oder der deutschen Synchronisation in DTS-HD Master Audio 5.1. Untertitel liegen in Deutsch und Englisch vor, was gerade in Bezug auf Letzteres keine Selbstverständlichkeit ist. Eventuell erweitert man seinen Kundenkreis damit auch auf ausländisches Publikum.

Stiglegger präsentiert

Bei den Extras sieht es für eine „Limited Special Edition“ dann leider etwas mager aus. Immerhin: Vor Eintritt ins Hauptmenü wartet eine etwa viertelstündige Einführung zum Film mit Prof. Dr. Marcus Stiglegger. Es ist tatsächlich empfehlenswert, diese als Einstimmung auf den Film zu sehen anstatt einfach im Anschluss, denn Stiglegger verrät nicht zu viel über den Film, sondern ordnet ihn eher in die Filmografie Sabus ein und verstärkt so die Vorfreude auf das Hauptgericht; außerdem möchte man sich nun am liebsten über weitere Werke des Ausnahmeregisseurs erkundigen.

Ist man aber einmal mit dem Film durch, gibt es anschließend nur noch den Originaltrailer und den deutschen Kinotrailer zu entdecken. Auch auf einen Audiokommentar muss diesmal leider verzichtet werden.

„Limited“ und „Special“ bezieht sich daher eher auf die Präsentation: Starke Technik, schönes Booklet, zwei Medien und eine liebevolle Aufbereitung machen diese Edition trotz allem zu einem kleinen Juwel, zumal der eigentliche Film zu den stärksten und ungewöhnlichsten im Wicked-Vision-Repertoire gehört. Darüber hinaus liegt der Marktpreis ein wenig unter den Mediabook-Releases. Für Liebhaber hoher Künste und niederer Genres ist „Miss Zombie“ jedenfalls eine Pflichtveranstaltung.

Bildergalerie

Miss Zombie Screenshot 1

DHL liefert jetzt auch Zombies.

Miss Zombie Screenshot 2

Nur für den Fall, dass etwas schiefgeht.

Miss Zombie Screenshot 3

Der Moment, als die Handwerker plötzlich auf die menschlichen Werte der Zombie-Frau aufmerksam werden.

Miss Zombie Screenshot 4

Bite my shiny little boy!

Miss Zombie Screenshot 5

So manch unsichere Person hat sich bestimmt schon oft gewünscht, so cool eine Gruppe jugendlicher Unruhestifter zu passieren.

Miss Zombie Screenshot 6

Ayaka Komatsu und Makoto Togashi verbindet ein unsichtbares Band. Hier repräsentiert durch ein Hackebeil.

Miss Zombie Screenshot 7

Einmal Auto waschen, die Dame?

Miss Zombie Screenshot 8

Moment, Miss Zombie! Sie haben ein Bein verloren!

Sascha Ganser (Vince)

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