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Lamb of God – Die Schuld der Unschuldigen

Originaltitel: Cordero de Dios__Herstellungsland: Argentinien__Erscheinungsjahr: 2020__Regie: Iván Noel__Darsteller: Santiago Acevedo, Matias Benedetti, Jorge Booth, Manuel Figueiro, Jon Vernon Gilbert, Tino Leunda, Iván Noel, Emanuel Renzini u.a.
Lamb of God - Die Schuld der Unschuldigen

Das Cover der Blu-ray von „Lamb of God – Die Schuld der Unschuldigen“.

Ein abgeschiedenes Internat irgendwo tief versunken in den Bergen Argentiniens. Vier Geistliche kümmern sich um eine Gruppe verlorener Jungs, die in der isolierten Gemeinschaft zu einem frommen Leben herangezogen werden. Unterdrückt wird dabei nicht nur ein Teil ihrer natürlichen Bedürfnisse, sondern ihre komplette Herkunft: Alles, was gilt, ist das Hier und Jetzt im Angesicht Gottes.

Als eines Tages aus dem Nichts Pater Martin (Iván Noel) zu den Aufsehern stößt, erfährt der streng behütete Alltag der Heranwachsenden einen Wandel. Insbesondere gilt das für den Außenseiter Franz (Manuel Luka Figueiro), an dem der Fremde von außerhalb ein besonderes Interesse zu hegen scheint…

Es ist ein abgeriegeltes Idyll, das Iván Noel da erschafft, immer mit dem Ziel im Hinterkopf, es schlussendlich durch äußere Kräfte aufzureißen. In die Abgeschiedenheit hinein arbeitet er mit hohem dokumentarischen Anspruch. Die Kamera wackelt selbst im statischen Modus dezent, als würde der Kameramann sie einfach aus Gelegenheit in die Kulisse halten. Im Gegenlicht der digitalen Bilder werden Blütenpollen sichtbar, welche sich in gediegenem Tanz über die endlosen Wiesen der Anlage verteilen. Die Gerüche des Sommers dringen durch das Bild hindurch zu den Rezeptoren durch. Die Kinderdarsteller sind durchweg mit Laien besetzt. Ihre Bewegungen werden als Kollektiv eingefangen, instinktiv den Strömungen folgend wie eine Schafherde, die selig auf der Weise grast und nichts von den Absichten ahnt, die ihre Hüter hegen. „Cordero de Dios“, im internationalen Vertrieb „Lamb of God“, ist nicht umsonst der Titel eines Films, der die Sünden der Menschheit auf die jugendliche Unschuld ablegt.

Dass dies das letzte Werk des ursprünglich aus Frankreich stammenden Wahl-Argentiniers sein würde, eines Mannes, der im Jahr darauf Suizid beging, verleiht ihm eine über die Maßen bittere Komponente, wodurch die Themen, obgleich sie vermutlich nicht direkt auf wahren Begebenheiten beruhen, unwiederbringlich mit der Realität verschmolzen werden. Einige der jungen Darsteller sollen ihren Regisseur des sexuellen Missbrauchs bezichtigt haben; eine Information wie ein Faustschlag, der im Nachgang sämtliche Bewertungsmaßstäbe für das vollendete Werk verwischt und letztlich unbrauchbar macht, gerade angesichts aufgeworfenen Themen und der Wahl ihrer Darstellung. Dadurch wird eine unerwünschte zweite Ebene geschaffen, die man nicht einmal dann völlig ausblenden kann, wenn man Noels Schicksal nicht als Eingeständnis der Schuld interpretieren möchte.

Dabei verbirgt sich hinter „Lamb of God“ selbst ohne diesen Hintergrund schon ein aufwühlender Film. Unentwegt verweist er auf die unsichtbaren Facetten der irdischen Existenz, die von den Geistlichen radikal aus dem Alltag ihrer Schützlinge getilgt werden. Angesiedelt im Jahr 1961, ist es der Blick auf ein südamerikanisches Exil in einer Welt, die sich immer noch von den Leiden des Zweiten Weltkriegs erholt, derweil Argentinien zu einem Auffangbecken für deutsche Kriegsverbrecher geraten ist. Europa ist weit entfernt, aber es schallt nach mit all seinen Verheißungen und seinem Verderben.

Besonders effektiv spielt Noel seine Stärken aus, wenn er diese Kontraste behüteter Jugend und schrecklicher Wahrheiten miteinander kollidieren lässt. Das kann mal eine Predigt in unerwartet rauer Tonlage sein oder ein Schreckmoment in der Nacht. Manchmal reicht es auch einfach, das absolut Unbekannte aus dem Hut zu zaubern, um die Normalität völlig aus den Angeln zu heben; eine Flasche Alkohol als Begrüßungsgeschenk zum Beispiel, oder aber die einzige weibliche Gestalt des Films, ein junges Mädchen, das auf einmal wie ein Geist am Ufer eines Bachs auftaucht und später zur absoluten Verkörperung passiver Provokation wird.

Gelegentlich lässt sich der Regisseur von der Ekstase bei der Suche nach einer ungeschönten Wahrheit auch mal ungewöhnlich hoch in die Lüfte treiben, zumindest, wenn man ein angesichts der Verpackung beziehungsweise Vermarktung ein nüchternes Drama mit Arthaus-Allüren erwartet. Seine komödiantische Seite kommt in einer Sequenz um halluzinogene Pilze voll zur Geltung, als kichernde Kinder und philosophierende Aufseher friedlich koexistieren, die einfache Schönheit der Natur voller Inbrunst umarmen und die Kühe auf dem Rasen heiligsprechen. Der aufgrund seiner repetitiven Seichtheit gehörig an den Nerven sägende, stocksteife Soundtrack stünde eigentlich einer Reportage aus einer Vorabend-Wissenssendung der Öffentlich-Rechtlichen besser als diesem Film, doch selbst er lässt sich von der merkwürdigen Stimmung anstecken und nimmt durch Schwankungen in der Tonfrequenz aktiv am Trip teil. Es sind diese Momente, in denen „Lamb of God“ seiner Quintessenz am nächsten ist und das Ursprüngliche selbst ausstrahlt, das er zu beschützen versucht.

Zu einem derart naturalistischen Ansatz mögen auch die wiederholten – dabei keineswegs voyeuristisch gefilmten – Einstellungen der unbekleideten Darsteller passen, und doch hallen gerade durch die Häufung dieser Szenen die nachträglichen Vorwürfe nun wie Echos über sie hinweg. Über die Maßen exzentrisch wird es aber eigentlich eher dazwischen, wenn das Drehbuch den Versuch unternimmt, die unter Verschluss gehaltene Sexualität der Kinder ausbrechen zu lassen. In einigen Momenten wirkt das authentisch, in anderen wiederum schießen die Anweisungen gefühlt ein wenig über das Ziel hinaus und legen eine Art von Initiative in die Hand der Kinder, die sich unnatürlich anfühlt.

Eigentlich jedoch fungiert das Spiel mit Hinweisen auf sexuellen Missbrauch, das etwa beim ein Jahr später entstandenen chilenischen Drama „A Place Called Dignity“ über das Treiben des realen Sektenführers Paul Schäfer noch im Zentrum der Handlung lag, lediglich als falsche Fährte, wird doch durch die Enthüllung der wahren Absichten des Fremden, gespielt von Noel selbst, eine Dimension freigelegt, die an die Suspense-Thriller eines Alfred Hitchcock anknüpfen, vom Katholizismus der Nachkriegszeit aus „Ich beichte“ (1953) über das unvertraute Bekannte („Im Schatten des Zweifels“, 1943) bis zur spannungssteigernden Parallelmontage mit Showdown im Nirgendwo. Obwohl der dokumentarische Stil durchgehend bewahrt bleibt, erreicht der Film mit zunehmender Laufzeit die Dramatik einer großen Hollywood-Produktion, was ihn einerseits ein wenig an Authentizität kostet, andererseits aber seine Schlagkraft steigert, so dass bei allen Entgleisungen, die sich Noel bis dahin geleistet hat, ein gewisses Hochgefühl zurückbleibt.

Was soll man nun abschließend über „Lamb of God“ sagen? Vieles deutet auf das Werk eines Auteurs hin, der sämtliche kreativen Entscheidungen möglichst unabhängig von anderen Entscheidungsträgern modellieren möchte, weshalb er nicht nur für Regie und Drehbuch verantwortlich ist, sondern zugleich als Komponist, als Editor, teilweise als Kameramann sowie in einer Schlüsselrolle als Schauspieler. Es ist schade, dass die Wirklichkeit den kraftvollen künstlerischen Abdruck, der dabei entstanden ist, derart verwässert hat, dass er nicht mehr unbefangen bewertet werden kann.

Informationen zur Veröffentlichung von „Lamb of God – Die Schuld der Unschuldigen“

Seit Sommer 2025 ist „Lamb of God“ nun also auch auf einer deutschen Blu-ray zu erwerben. Diese Ausgabe folgt somit der bereits 2021 erschienenen DVD, welche damals eine Fortführung einer über Jahre währenden Beschäftigung mit den Werken Iván Noels war, wurden doch bisher so gut wie alle davon über das Berliner Label auf DVD veröffentlicht. Dass Noels letzter Film nun auch auf Blu-ray erscheint, zeugt von seiner besonderen Relevanz. Kein Wunder, erscheint das cmv-Logo doch diesmal nicht nur auf der Hülle der Disc, sondern auch im Vorspann des Films. „Lamb of God“ wird nämlich nicht nur über cmv vertrieben, sondern cmv steht auch hinter der Produktion.

Die Verpackung

In Sachen Aufmachung oder Ausstattung hat sich gegenüber der DVD im Grunde nichts geändert. Auch die Blu-ray kommt mit dem gleichen Coverbild, einer Nahaufnahme der Hauptfigur Franz, die durch die beiden Ebenen in der Tiefenwirkung der Fotografie von den anderen Kindern getrennt ist. Gegenüber der DVD wurde das Motiv aufgrund des weniger länglichen Formats der Verpackung natürlich unten leicht abgeschnitten, das Layout mit dem Titel oben links neben dem Kopf in weißer Schrift ist aber identisch geblieben. Ein Wendecover ist mit an Bord; der einzige Unterschied zum Hauptcover besteht im fehlenden FSK16-Logo. Bei der Hülle handelt es sich um ein gewöhnliches Amaray Keep Case, in der getesteten Ausgabe aus halb transparentem, anthrazitfarbenen Kunststoff gefertigt. Textbeilagen wie ein Booklet oder ein beigelegter Infozettel sind erwartungsgemäß nicht mit an Bord.

Die Menüs

Nach Einlegen der Scheibe folgen die üblichen Einspieler (FSK- und Rechtehinweise sowie das cmv-Laservision-Logo), anschließend wird man in ein musikalisch untermaltes, aber nicht animiertes Menü geführt, in dem man die Auswahl zwischen Filmstart, Kapitelauswahl, Tonauswahl und Extras hat.

Das Bild

Das Bild liegt in 1,78:1 vor und bringt auf der Blu-ray den Vorteil einer 1080p-Auflösung mit sich. Dadurch kommen gerade bei den vielen Landschaftsimpressionen mit Weitblick reichlich Details zustande. Die Kontraste offenbaren gerade bei starkem Lichteinschlag digitale Eigenschaften. Die Farben bewegen sich überwiegend im warmen Spektrum mit dem hellen Gelb der Sonne und dem ebenso hellen Grün der Blätter und Wiesen. Bei Innenaufnahmen wird es auch mal etwas dunkler; in einer Traumsequenz etwa wechselt sogar das Color Grading komplett ins Blaue. Aufgefallen sind an zwei, drei Stellen auch unschöne Clipping-Fehler, bei denen in einer Ecke des Bildes noch kurz Bildelemente der vorherigen Szene nachgezogen werden.

Der Ton

Eine Synchronisation wird nicht geboten. Man muss sich also auf den spanischen Originalton einlassen, der in Dolby Digital 2.0 vorliegt und über die beiden Kanäle hinweg ausreichend Räumlichkeit generiert und klar verständliche Dialoge liefert, die je nach Position des Sprechers in Intensität und Deutlichkeit auch entsprechend dynamisch aufgelöst werden. Deutsche, aber auch englische Untertitel in gelben Buchstaben sind natürlich mit an Bord und geben nur vereinzelt bei Flüchtigkeitsfehlern Anlass zur Klage.

Der Audiokommentar

Auf einer zweiten Spur findet man noch einen Audiokommentar von Regisseur Iván Noel, der insgesamt vier Sprachen beherrscht haben soll. Aufgrund seiner Herkunft darf man davon ausgehen, dass zwei davon Französisch und Spanisch sind, der Kommentar wiederum wurde in sehr gutem Englisch aufgenommen, das nahezu wie das eines Muttersprachlers klingt. Schade ist es, dass der Kommentar im Gegensatz zum Originalfilm nicht untertitelt wurde. Wer des Englischen mächtig ist, erfährt vor allem Technisches und Logistisches zur Realisierung des Films und zum Dreh mit den Jungdarstellern. Eher selten geht Noel auf inhaltliche Aspekte ein oder bietet Analyse seines eigenen Materials an; dazu hätte sich der Kommentar eines Filmwissenschaftlers oder auch eines Experten für südamerikanische Geschichte aber ohnehin besser geeignet. Tragisch wirken die letzten Worte des Kommentars, in denen Noel sich verabschiedet und darauf hinweist, dass man sich in etwas mehr als einem Jahr beim nächsten Film wiedersehen werde.

Die Extras

Unter den Video-Extras sticht vor allem eine gut dreiviertelstündige Behind-the-Scenes-Featurette heraus. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschnitt aus B-Rolls, Handy-Aufnahmen und Standbilder-Galerien, der teilweise mit einem weiteren Audiokommentar von Iván Noel unterlegt ist, manchmal in der Postproduktion eingesprochen, manchmal live in der Aufnahme. Diese Audiospur ist alternativlos, denn eine unkommentierte Spur gibt es nicht. Hier wird Noel noch einmal spezifischer als im Filmkommentar, was die Produktionsdetails angeht. Begleitend dazu geben die Aufnahmen auch einen direkten Einblick in die Produktionsumstände. Leider ist auch dieses Feature nicht untertitelt.

Oben drauf kommt der obligatorische Trailer im spanischen Originalton (ebenfalls ohne Untertitel) sowie eine dreiminütige Bilderstrecke mit Postern und Stills, die durch Zooms bei musikalischer Begleitung zu einer Galerie verknüpft werden. Außerdem gibt es noch drei Trailer zu Filmen aus dem Programm von cmv-Laservision zu sehen.

Inhaltlich passend zur fast zeitgleich erschienenen DVD von „A Place Called Dignity – Kolonie der Schande“, reicht cmv-Laservision also doch noch eine Blu-ray für „Lamb of God“ nach, nachdem bisher nur eine DVD erhältlich war. Der Film selbst hat zweifellos seine Qualitäten, auch wenn er durch seine tragischen Hintergründe noch weit schwerer verdaulich geraten ist als er es ohnehin aufgrund der düsteren Thematik schon ist.

Die fehlende Untertitelung der Extras, die immerhin einen weitreichenden Einblick in die Dreharbeiten liefern, sowie ein paar Makel beim Bild lassen ein wenig Luft nach oben, ein wenig Kontextualisierung durch ein Booklet oder einen weiteren Audiokommentar würde gerade bei einem solchen Film natürlich hilfreich für das Verständnis sein. Aber da sollte man Realismus walten lassen: „Lamb of God“ ist ein Nischenprodukt, bei dem schon ein Release auf Blu-ray nicht ganz selbstverständlich ist, wie auch die restlichen Regiearbeiten Iván Noels zeigen… oder eben der parallel nur auf DVD ins Programm genommene Themenverwandte über eine Kolonie in Chile.

Sascha Ganser (Vince)

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Copyright aller Filmbilder/Label: cmv-Laservision__Freigabe: FSK 16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Ja/Ja

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