Originaltitel: Ghost in the Shell__Herstellungsland: USA/Großbritannien/China/Japan/Indien/Kanada/Australien__Erscheinungsjahr: 2017__Regie: Rupert Sanders__Darsteller: Scarlett Johansson, Pilou Asbæk, Michael Pitt, Juliette Binoche, Takeshi Kitano, Michael Wincott, Rila Fukushima, Chin Han, Chris Obi, Joseph Naufahu, Peter Ferdinando u.a. |

Bei Rupert Sanders‘ Realverfilmung von „Ghost in the Shell“ spielt Scarlett Johansson die Titelrolle
Macht sich ein Hollywoodstudio an die Realfilmumsetzung einer heiligen Nerdkuh wie „Ghost in the Shell“, dann ist Knatsch mit beinharten Fans wegen tatsächlicher wie angeblicher Verfehlungen vorprogrammiert. Rupert Sanders‘ Film war keine Ausnahme; wurde er doch gleichzeitig wegen Abweichungen und angeblicher Einfallslosigkeit attackiert.
Was man auf jeden Fall feststellen kann, ist die Tatsache, dass Sanders diverse Schlüsselszenen des 1995er Animes, der die wohl bekannteste und beliebteste Version von „Ghost in the Shell“ sein dürfte (und auf dem gleichnamigen Manga basiert), klar nachstellt; etwa schon in der Auftaktsequenz, in welcher der Geist seine neue Hülle bekommt: Mira Killian (Scarlett Johansson) ist der künstliche Mensch, der dabei entsteht. Bei ihrem Gehirn handelt es sich um das einer jungen Frau, die bei der Explosion eines Flüchtlingsbootes ums Leben kam. Verantwortlich ist die Wissenschaftlerin Dr. Ouelet (Juliette Binoche), die sich auch dagegen ausspricht, dass Mira bei der Antiterroreinheit Sektion 9 eingesetzt wird.
Ein Jahr später ist Mira, nur noch Major genannt, dann für Sektion 9 tätig und wird gleich im Einsatz gezeigt, als Geisha-Bots bei einem Businesstreffen ausrasten und Leute ermorden – augenscheinlich die Folge eines Hackerangriffs, den Major und ihr Kollege Batou (Pilou Absaek) in der Folge untersuchen. Natürlich gehört zu einem Copduo klassischerweise auch ein Boss, dessen Anweisungen man sich hin und wieder widersetzen darf, in diesem Falle Aramaki (Takeshi Kitano); der spricht stets Japanisch, auch wenn andere auf Englisch parlieren, was wohl eine der Strategien ist, mit denen man dem Vorwurf kulturellen Raubbaus an der japanischen Vorlage begegnen wollte.
Jedoch handelt es sich bei dem Hacker um einen gewieften Gegner, der sich auch in die Gehirne der größtenteils mit künstlichen Körperteilen gepimpten Zukunftsbevölkerung einhacken und diese manipulieren kann. Major kommt ihm trotzdem auf die Schliche, findet dabei aber auch neue Erkenntnisse über sich selbst heraus…
httpv://www.youtube.com/watch?v=uPehfxxOWOw

Major Mira Killian (Scarlett Johansson) im Einsatz gegen einen terroristischen Hacker
Dass man im Cyberpunk und Science-Fiction-Genre Großkonzernen, die noch dazu staatliche Aufgaben wie Polizeischutz und Terrorkampf privatisieren, nicht trauen darf, gehört spätestens seit Paul Verhoevens Klassiker „RoboCop“, zu dem „Ghost in the Shell“ die eine oder andere Parallele besitzt, zum Standardrepertoire des Genres, weshalb nicht jede Plotwendung überrascht, egal ob man die Animevorlage kennt oder nicht. Dabei filmt Sanders, trotz des Nachstellens ikonischer Szenen (z.B. wäre Majors Sprung vom Dach zu nennen), nicht einfach nur den Anime real ab, sondern bringt Elemente aus anderen „Ghost in the Shell“-Adaptionen bzw. -Fortsetzungen ein und verschiebt Akzente, auch wenn das Grundmuster der Vorlage erhalten bleibt. Insofern geht der Film eigentlich einen durchaus sicheren Weg zwischen Übernahme und Neuerfindung, dem Zorn der Fans zum Trotz.
Allerdings muss man gleichzeitig anerkennen, dass „Ghost in the Shell“ zwischen den Grat zwischen krawalliger Cyborgaction, futuristischem Politthriller und philosophischer Selbstfindung nicht immer sicher beschreitet, wobei die äußere Handlung am ehesten als bekannte Genreware zu bezeichnen ist: Die Konzernschmierlappen, die wohlmeinende Schöpferin, der loyale Kollege – das sind alles bekannte Genrefiguren, die bekannte Genredinge tun und bekannte Genreschicksale erleiden, sodass die großen Überraschungen bei der trotzdem recht flotten Hackerhatz ausbleiben.

Aramaki (Takeshi Kitano) lässt sich von kaum jemandem etwas sagen
Dafür besitzt „Ghost in the Shell“ eine visuelle Kraft, welche die Macht der gezeichneten Bilder der Vorlage adäquat auf die Leinwand bringt und mit seinem futuristischen Stadtdesign mit den Hologrammen, den Leuchtreklamen und der Neon-Ästhetik der nächtlichen Metropole Eindruck schindet, während die Straßen bei Tag und die Untergründe unter der pulsierenden atmosphärisch müllig und düster sind. Das Nebeneinander von hellem Konzernchic und ärmlicher Existenz abseits schillernder Fassaden ist dabei nicht nur von optischer Bedeutung, sondern auch von inhaltlicher, denn der Gegensatz von arm und reich, von rebellischem Untergrund und reicher Oberschicht und denen, die dazwischen gefangen sind wie Major, gehört ebenfalls zu Cyberpunkgeschichten wie dieser.
So ist Majors Selbstfindung natürlich auch eine Klassenfrage – will sie weiter dem Hanka-Konzern dienen, der sie gerettet bzw. in dieser Form erschaffen hat, aber nicht ganz koscher zu sein scheint, oder wird sie sich mit dem Rebellenhacker verbünden, der auch etwas über ihre Herkunft zu wissen scheint. Dabei lässt sich „Ghost in the Shell“ wenig Zeit für das große menschliche (bzw. kunstmenschliche) Drama und kann so auf emotionaler Ebene nur begrenzt mitreißen, auch wenn die Selbstzweifel und Identitätsstörungen Majors durchaus glaubhaft angegangen werden. Die Auflösung hat sogar einen Seitenhieb auf die Vorwürfe des Whitewashing der Titelfigur parat (auch wenn man die Titelfigur des Animes, gerade angesichts des Zeichenstils, auch schon 1995 als Kaukasierin hätte lesen können).

Eine der Szenen, die in der Realfilmversion eins zu eins aus dem Anime nachgestellt wurde
Eines der Highlights des Animes übernahm Sanders auch für die Realfilmversion: Den Finalkampf zwischen Major und einem futuristischen Spinnenpanzer, bei dem aus allen Rohren gefeuert wird. Das ist ein würdiger Abschluss, hinterlässt aber gleichzeitig den Eindruck, dass Sanders nicht die beste Wahl für Actionregie ist: Die Set Pieces haben mehr Schmackes als das uninspiriert langweilige Gekabbel bei seinem „Snow White and the Huntsman“, sind aber immer etwas zu schnell vorbei, könnten inszenatorisch immer noch eine Spur besser und mitreißender sein, auch wenn zumindest der Showdown, das Shoot-Out mit den Geisha-Bots und der Kampf im Club positiven Eindruck hinterlassen. Negativ ist hingegen der vom Kampf im Wasser, da dieser viel zu schnell rum ist und das Unsichtbarkeitsgimmick von Majors Anzug dabei etwas verschenkt erscheint.
Wieder positiv dagegen ist der Eindruck, den Scarlett Johansson in der Titelrolle hinterlässt. Als Action- bzw. Comicheldin (z.B. „The Avengers“) sowie als übernatürliches Wesen (z.B. „Lucy“) hat sie mit ihren letzten Filmrollen reichlich Erfahrung gesammelt und kann diese in der Titelrolle sehr gut ausspielen. Auch Pilou Absaek („9. April – Angriff auf Dänemark“) als treuer Partner mit Skepsis gegenüber Bio-Erweiterungen überzeugt auf voller Linie, so wie Altstar Takeshi Kitano („Battle Royale“) in seinen Szenen den Film dominiert, auch wenn er nur begrenzt etwas zu tun hat. Michael Pitt („Criminal“) als Hacker ist okay, aber kaum beschäftigt, Juliette Binoche („Godzilla“) guter Support und der sonst recht unbekannte Rest vom Fest brauchbar, zu dem auch Michael Wincott („Knight of Cups“) in einer Gastrolle gehört.
Insofern ist „Ghost in the Shell“ kein Film, der als Realfilmadaption etwas fundamental falsch, denn gerade als visuelle Umsetzung des Anime- und Mangaflairs punktet die aufwändige Großproduktion. Doch der Action fehlt trotz einiger guter Set Pieces der letzte Schliff, das Drama um die Identitätssuche der Hauptfigur kratzt nur an der Oberfläche und auch der Plot ist bloß Cyberpunkstandardkost, wenn auch ganz flott erzählt. Ein okayer Film, aber einer, der wesentlich mehr hätte sein können.
„Ghost in the Shell“ ist bei Paramount/Universal auf DVD erschienen und ab 16 Jahren freigegeben. Auf der DVD befinden sich zwei Making Ofs im Bonusmaterial, bei der Blu-Ray zusätzlich ein drittes.
© Nils Bothmann (McClane)
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