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10 To Midnight

Originaltitel: 10 To Midnight__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1983__Regie: J. Lee Thompson__Darsteller: Charles Bronson, Lisa Eilbacher, Andrew Stevens, Gene Davis, Geoffrey Lewis, Wilford Brimley, Robert F. Lyons, Bert Williams, Iva Lane, Ola Ray, Kelly Preston, Cosie Costa u.a.

10 To Midnight

10 To Midnight

Mediabook Cover B

„10 To Midnight“. Ein bedeutungsleerer Filmtitel, vermutlich erdacht im Büro von Produzent Pancho Kohner, weil es sich bei der angepeilten Videomarkt-Zielgruppe gut verkaufen würde. Laut Drehbuch geht kurz vor Glockenschlag jedenfalls kein Sprengsatz hoch, auch sonst wird kein Countdown abgezählt; alles, was sich aus dem Titel für den Inhalt konservieren lässt, ist die Schwärze, mit der das nächtliche Los Angeles im finalen Akt ausgeleuchtet wird. Sie steht sozusagen sinnbildlich für die bedeutungslose Wiederholung häufig genutzter Crime-Action-Schemata, denen Charles Bronson („Ein stahlharter Mann“) selbstverständlich auch und gerade bei Cannon, einer ersten Station bei seinem Abstieg vom A- zum B-Star, nicht entgehen konnte.

Eingekesselt zwischen den ersten beiden „Death Wish“-Fortsetzungen, die ihrerseits im Vergleich mit dem Original schon als pulpig und bisweilen comichaft empfunden werden, ist „10 To Midnight“ eine völlig werkgetreue Weiterführung in Bronsons Filmografie – ein Eintrag, der sich aktiv daran beteiligt, das Bild eines kaltschnäuzigen Felsblocks zu zementieren, der sich vom Gesetz ebenso wenig aufhalten lässt wie vom Verbrechen. Aber auch unabhängig von der leicht auszurechnenden Vita des Hauptdarstellers ist diese zweite Kollaboration zwischen Bronson und Cannon von einem wenig überraschenden Ablauf geprägt. Wie der Antagonist eingeführt wird, wie er mit der Polizei Katz und Maus spielt und sich die Intimität zwischen Held und Widersacher durch das Einbringen persönlicher Elemente erhöht, das hat es schon dermaßen häufig gegeben, dass man von einem etablierten Standardmuster sprechen muss. Es handelt sich um den manipulativen Versuch, den Zuschauer gegen das Böse aufzubringen und den Griff zu Selbstjustizmaßnahmen somit zu rechtfertigen.

Aberhunderte von Action-Krimis und Rache-Thrillern mögen diesem Ablauf gehorchen, aber außer „10 To Midnight“ verfügt keiner von ihnen über Gene Davis in der Rolle des soziopathischen Serienkillers. Davis, der in „Cruising“ (1980) bereits einen Transvestiten gespielt hatte, sexualisiert mit seinem irritierenden Auftritt als Warren Stacy vom Fleck weg ein Genre, das sich traditionell über die harten Regeln der Virilität definiert. Damit empfiehlt er sich als Feindbild, noch bevor er sein Stalking überhaupt mit einem ersten Mord abschließen kann. Wir beobachten ihn dabei, wie er zu einem pumpenden 80er-Pop-Song vor dem Spiegel tanzt, darum bemüht, das Rückgrat über zappelnden Beinen gerade zu halten. Im gleichen Jahr sah das Publikum „Flashdance“ im Kino, hörte den Song „She’s A Maniac“… und dürfte unter Gänsehaut die Ähnlichkeiten wahrgenommen haben. Davis’ Blick ist stets glasig, seine Figur immer darum bemüht, den Blicken seiner Mitmenschen auszuweichen, selbst wenn er eigentlich derjenige ist, der den Kontakt sucht. Bemerkenswert ist es, dass zu jener Zeit weder „Buffalo Bill“ aus Thomas Harris’ Roman „Das Schweigen der Lämmer“ existierte noch Bret Easton Ellis seinen „Patrick Bateman“ aus „American Psycho“ erfunden hatte – ganz zu schweigen von den entsprechenden Filmadaptionen. Die Figur ist daher nicht nur stark gespielt, sondern auch noch originär in ihrer Präsentation; zumindest, wenn man bis dahin die Figuren aus den Verfilmungen von Jonathan Demme bzw. Mary Harron als originär empfunden hat.

Schaut in den Trailer zu “10 To Midnight” hinein

Der Vergleich mit den bekanntesten intellektuellen Psychopathen der Filmgeschichte liegt auch deswegen nahe, weil es Bronson diesmal mit einem Gegner aufnehmen muss, der nicht nur herzlos vorgeht, sondern auch noch gerissen. Die gesamte Kino-Sequenz aus der Einstiegsphase der Handlung ist in ihrer Gesamtkomposition eine erstaunlich geschickte, wendungsreiche Präsentation der Denkweise des Killers. Stacy ist der sozialen Interaktion nicht unfähig, sondern allenfalls nicht in der Lage, sie emotional nachzufühlen; er weiß sie aber wie ein Instrument einzusetzen. Ebenso weiß er, wie man ein Hasch-Misch-Spiel mit der Polizei zum eigenen Vorteil gestaltet. Regisseur J. Lee Thompson („Murphys Gesetz“) führt gewissermaßen durch die Anatomie einer Beschaffung des perfekten Alibis und weckt mit reißerischen, aber effektiven Mitteln die Neugier darauf, wie der Held dieser Mischung aus Skrupellosigkeit und Gerissenheit später wohl beikommen mag.

Bronson erscheint angesichts des Spektakels, das sein Co-Star auf der anderen Seite abbrennt, zunächst überfordert. Oder anders gesprochen: Das Drehbuch hat Probleme damit, die Over-The-Top-Performance des Einen mit der stoischen Ruhe des Anderen in Einklang zu bringen. In etlichen Szenen spaziert Davis völlig nackt mit einem Messer in der Hand durch die Natur, am Ende rennt er gar der Skyline von L.A. entblößt entgegen wie ein Werwolf nach der rückgängig gemachten Transformation, sein fleischiges Ausrufezeichen vor sich baumelnd – zu viel für das amerikanische Fernsehen, das lieber auf eine entschärfte Version mit Unterwäsche zurückgriff. Dabei ist selbst die unzensierte Fassung immer darum bemüht, das letzte Quäntchen Prüderie zu bewahren und wenigstens das Körperteil, um das sich hier alles zu drehen scheint, durch raffinierte Kamerawinkel und eingeschobene Gegenstände im Verborgenen zu lassen. Bronson indes muss sich zwischen all den Nackten und Blutbeschmierten vorgekommen sein wie im Affentheater, lässt sich aber erwartungsgemäß nichts anmerken. Er bleibt der, der er immer war, unberührt von dem Wahnsinn, der ihm entgegenschlägt, oder davon, dass er ja immerhin eine Filmtochter (Lisa Eilbacher („Hydrotoxin“)) zu beschützen hat, die ins Visier des Wahnsinnigen gerät. Der unerwartet reaktionäre Showdown passt in seiner Drastik eigentlich nicht zu der Hauptfigur, zum Ausdruck in ihren Augen und ihrer Gestik im ganzen Film. Das wurde Bronson in diesem Fall ausnahmsweise vorgeworfen, scheint es doch einer Cannon-Produktion nicht angemessen zu sein, mit Schulterzucken und Stinkefinger den ikonischen Momenten geballter Potenz aus dem Weg zu gehen, mit denen zur gleichen Zeit Chuck Norris groß wurde. Dabei ist es ein Huhn-Ei-Problem, könnte man doch auch umgekehrt sagen, der Film ist es, der sich eines Bronson nicht angemessen verhält.

Es ist aber nicht zuletzt auch dieser Widerspruch, der „10 To Midnight“ heute noch sehenswert erscheinen lässt. Dem Hauptdarsteller bietet sich ausgerechnet in einer reißerischen Cannon-Produktion noch einmal eine gewisse Herausforderung, die sich vor allem in der starken Performance von Gene Davis Bahn schlägt. Dass Bronson die Herausforderung eben nicht annimmt und lieber sein Ding durchzieht, macht die ganze Angelegenheit nur noch befriedigender. Denn zu sehen, wie die harte Nuss eben NICHT geknackt wird, ist doch das, was der Zuschauer will.

6 von 10

Informationen zur Veröffentlichung von “10 To Midnight”

Bronson geht immer. Das beweisen Wicked Vision nach „Das Gesetz bin ich“ nun bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr. Das Label hat sich einen Namen als „Home Of Horror“ gemacht, fährt dem alten Haudegen aber ein Gästebett aus, das nicht weniger kuschelig aussieht als die reservierten Doppelbetten aus den Suites der Stammgäste.

Bedeutet wie gewohnt: Feistes Mediabook (diesmal in zwei Covervarianten, jeweils limitiert auf 666 Stück) mit Hauptfilm auf Blu-ray und DVD, 24-seitigem Booklet mit Text von David Renske sowie diversen digitalen Extras. Wobei letztere diesmal etwas sparsamer ausfallen.

An der Grundbehandlung wurde aber nicht gespart: Der bildtechnisch sicherlich nicht unproblematische, weil oft bei Nacht spielende Film benötigt vor allem einen guten Schwarzwert und diesen kann der Transfer erfreulicherweise meistens liefern. Ansonsten weist vieles den typischen Look und die Körnung einer Produktion jener Zeit auf – ohne den wirklich durchdringenden HD-Touch, der nur in gewissen Einstellungen durchkommt, aber auch auf einem größeren Bildschirm macht das Ganze einen sehr soliden Eindruck. Ähnliches lässt sich über den Ton berichten, von dem man natürlich keine Rundum-Effekte erwarten darf, der im Rahmen seiner Möglichkeiten aber eine saubere Wiedergabe der Dialoge und Geräuschkulisse ermöglicht. Hervorhebenswert ist es, dass zusätzlich eine isolierte Tonspur geboten wird, was die Soundtrack-Freunde freuen dürfte.

An Extras wie Making-Ofs und dergleichen war wohl einfach nicht viel aufzutreiben. Die halbe Stunde Bonusmaterial verteilt sich auf Trailer, Radiospots, Bildergalerien und dergleichen. Worauf man sich immer verlassen kann, sind die Audiokommentare. Derer sind gleich zwei an Bord: Einer mit Filmhistoriker und Journalist David Del Valle, Produzent Pancho Kohner und Caster John Crowther, der andere mit dem Wicked-Stammtisch, bestehend aus Dr. Rolf Giesen und Dr. Gerd Naumann. Macht dann insgesamt satte fünf Tonspuren. Deutsch und Englisch untertitelt ist ebenfalls alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.

Sascha Ganser (Vince)

Bildergalerie von “10 To Midnight”

10 To Midnight

“I feel pretty, oh so pretty, I feel pretty and witty and bright…”

10 To Midnight

Nicht sehr schmeichelhaft: Die Reaktion der nackten Dame auf die Frontalansicht ihres Stalkers.

10 To Midnight

Dem Täter immer auf den Fersen: Charles Bronson.

10 To Midnight

Umringt von Reportern, als hätte er gerade mit dem HSV die Champions League gewonnen.

10 To Midnight

Was man wohl mit so einem Ottifanten-Rüsselanspitzer noch alles anstellen kann?

10 To Midnight

Ein Bild mit Symbolcharakter: Bronson überschreitet die Schwelle des Gesetzes auf eigene Faust.

10 To Midnight

Hühnerhaufen mit Gockel. Wo versteckt sich bloß der Fuchs?

10 To Midnight

Jep – das war noch VOR “Terminator 2”.

10 To Midnight

Da würde wohl jeder von uns flüchten: Verfolgt von einem Nackten durch das nächtliche L.A..

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Copyright aller Filmbilder/Label: Wicked Vision / MGM__FSK Freigabe: FSK16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Ja / Ja

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