| Originaltitel: Sous la Seine__Herstellungsland: Frankreich__Erscheinungsjahr: 2024__Regie: Xavier Gens__Darsteller: Bérénice Bejo, Nassim Lyes, Léa Léviant, Sandra Parfait, Aksel Ustun, Aurélia Petit, Marvin Dubart, Daouda Keita, Ibrahima Ba, Anne Marivin, Stéphane Jacquot, Jean-Marc Bellu u.a. |

In der Netflix-Produktion „Im Wasser der Seine“ von Xavier Gens macht ein Hai die Gewässer von Paris unsicher
Seit Jahren bedienen The Asylum & Co. den Haihorror mit zahlreichen Billigfilmen, aber hin und wieder sind auch mal größere und ernstzunehmendere Produktionen wie „47 Meters Down“, „The Shallows“ oder „Capsized: Blood in the Water“ darunter. Auch Netflix wollte sein Stück vom Kuchen abhaben und gab dem genreerfahrenen Regisseur Xavier Gens („The Divide“) knapp 20 Millionen Euro für „Im Wasser der Seine“ an die Hand.
Bevor es allerdings um den titelgebenden Fluss geht, geht es erstmals raus aufs Meer, zu jener gewaltigen Müllinsel, die als „siebter Kontinent“ gilt. Hier forscht Wissenschaftlerin Sophia Assalas (Bérénice Bejo) plus Crew zu dessenn Auswirkungen auf Flora und Fauna des Meeres. Aktuell will man einen Makohai, dem man einen Sender verpasst hat, eine Probe entnehmen. Dummerweise ist das weibliche Tier namens Lilith nicht nur deutlich größer als es sein sollte, sondern wird nach dem Stich zur Probeentnahme so sauer, dass es gleich vier Forscher wegsnackt, darunter Sophias Mann. Die versucht noch nur mit einer Harpune bewaffnet zur Rettung zu eilen, geht aber selbst fast drauf, wird unter Wasser gezogen und kassiert geplatzte Trommelfelle. Letzteres spielt übrigens für den Rest des Films nie wieder eine Rolle, aber das wird nicht der letzte Aspekt sein, dem es hier so geht.
Drei Jahre später setzt sich Sophia nur noch als Vortragende für den Schutz der Ozeane ein, wobei der Verlust des Gatten immer so viel oder wenig eine Rolle spielt wie es dem Drehbuch gerade passt. Außerdem lernt man schon mal zwei weitere Hauptfiguren kennen. Da ist Adil (Nassim Lyes), der eine Einheit der Wasserschutzpolizei befehligt. Und da ist die Umweltaktivistin Mika (Léa Léviant) – jung, gutaussehend, lesbisch und blauhaarig, als habe man sich neben den offensichtlichen US-Vorbildern auch noch mal bei dem einheimischen Arthouse-Hit „Blau ist eine warme Farbe“ bedienen wollen. Mika und ihre Crew sind eh ein Knaller: Alle um die 20, aber mit einem Designerloft-Hauptquartier in einem alten Gebäude, dessen Finanzierung der Film nie plausibel erklärt. Unter ihnen ist auch ein Hackergenie, das sich in jeden tierischen Peilsender einhacken und diesen auf Wunsch auch deaktivieren kann.
Mika informiert Sophia, dass der Makohai sich nun in der Seine befindet. Trotz anfänglichen Widerspruchs forscht die forsche Forscherin bald nach, wobei sie und Mika auf Adil und seine Crew treffen. Dabei versuchen sie die Polizei von der Existenz des Tieres zu überzeugen, denn bald steht in Paris ein Olympia-Triathlon mit Massenschwimmen in der Seine an…
Schaut euch den Trailer zu „Im Wasser der Seine“ an
Man merkt schnell: Viele Standards im Tierhorrorfilm, vor allem durch Genreprimus „Der weiße Hai“ gesetzt, sind auch knapp 50 Jahre nach dem Spielberg-Klassiker immer noch aktuell. Allen voran das Großereignis, das natürlich nicht abgesagt werden darf, aufgrund von akuter Bräsigkeit und Geldgier trotz aller Warnungen stattfindet und natürlich Showdown-Material inklusive hohem Bodycount ist. Wo die Stadtväter von Amityville mit dem vermeintlich toten Hai allerdings noch einen halbwegs plausiblen Grund für ihre Narretei hatten, da springt in „Im Wasser der Seine“ die Bürgermeisterin von Paris (Anne Marivin) als karikaturhaftes Rumpelstilzchen herum, das selbst bei Beweisen der Gefahr lediglich bessere Gewässerbewachung anordnet und auch schon mal vor versammelter Mannschaft die Vertuschung von Todesfällen anordnet. Wobei sowohl ihr Adjutant als auch der Polizeipräsident absolut gelackte Gecken sind, dass man fast schon eine Deppendreifaltigkeit hat.
Dem gegenüber stehen dann Sophia und Adil als hemdsärmelig-pragmatische Helden, unterstützt von einer sympathischen Truppe von Wasserpolizisten, die allerdings keinerlei Eigenschaften besitzen. Wobei das auf Sophia und Adil beinahe auch zutrifft: Er ist der kompetente Macher, der aber auch Feingefühl besitzt, sie die mal mehr, mal weniger traumatisierte Expertin. Geradezu grotesk ist „Im Wasser der Seine“ allerdings bei der Zeichnung seiner Umweltaktivisten. Einerseits scheint der Film mit ihrem Vorhaben zu sympathisieren, setzt sich gegen Umweltverschmutzung und Klimawandel ein, zeigt die Jagd auf und industrielle Verarbeitung von Haien mit drastischen Bildern. Andrerseits wird Mika im weiteren Verlauf zu einer vollkommen weltfremden Planschkuh, die den Hai-Peilsender ausschalten lässt, wenn sie (vollkommen grundlos) vermutet, dass die Polizei dem Hai bei Erstkontakt etwas tun könnte. Ihre Liebe zu dem Killertier geht soweit, dass sie es via Sonar ins offene Meer in die Freiheit locken will, damit keiner dem Schmusi-Busi-Hai etwas tut, wobei ihre Entourage auch begeistert mitmacht, bis auf ihre Hacker-Loverin, die einigermaßen gesunden Menschenverstand in der Situation beweist.
Das ist nicht der einzige dicke Hund im Drehbuch und nicht der einzige Moment, in dem sich „Im Wasser der Seine“ nicht für Hüh oder Hott entscheiden kann. So fängt das Ganze erst als verhältnismäßig realistischer Haithriller an, auch wenn die Prämisse vom mutiert-anpassungsfähigen Hai, der süßwassertauglich wird, biologisch nur schwer haltbar ist. Doch anfangs ist Lilith eben ein Tier, das einen ruhigen Platz sucht, selten in Aktion tritt und vor allem situationsbedingt angreift. In Hälfte zwei wird sie dagegen zur Tötungs- und Fressmaschine, welche die Schwimmer gleich im Mehrpack wegsnackt. Dummerweise heißt das auch, dass Kollege Computer eine Extraschicht einlegen muss und der Makohai immer wildere Sachen machen muss. Und spätestens dann, wenn Lilith mit einem lustigen Hüpfer ein Boot zum Kentern bringt, dann muss man leider eingestehen, dass die Macher CGI-technisch alles andere als auf der Höhe der Zeit sind, denn diese und andere Szenen sehen furchtbar billig aus.
Leider sind die Haiattacken auch in Sachen Inszenierung ausgesprochen durchwachsen. So macht „Im Wasser der Seine“ dann vor allem in der ersten Hälfte Eindruck, wenn man eine angeknabberte Pennerleiche findet oder Lilith als dunkler Schatten durch das trübe Seine-Wasser zieht. Geht es dann in Hälfte zwei ans Eingemachte, dann steigt der Bodycount zwar und das Wasser färbt sich öfters rot, doch inszenatorisch ist das teilweise mau. Wackelkamera, Hakelschnitt und Großaufnahmen entsetzter Gesichter müssen öfters den Tod durch Hai simulieren und wenn dann mal jemand onscreen dran glauben muss, dann kopiert „Im Wasser der Seine“ an mindestens drei Stellen einstellungsgenau „Deep Blue Sea“. Auch in Sachen Figurenschicksale ist das ernüchternd: Eine Sympathieträgerin ertrinkt ganz nonchalant bei einer Massenpanik, an anderer Stelle verfolgt man als Publikum überraschend teilnahmslos, wenn es mal wieder einen netten Kollegen von der Wasserschutzpolizei erwischt. Zwar ist „Im Wasser der Seine“ sauber produziert, bietet schicke Hochglanzbilder von Paris und bekommt auch immer wieder stimmungsvolle Passagen (etwa bei der Massenpanik in den gefluteten Katakomben) hin, doch viel zu oft hat man das Gefühl, dass Xavier Gens massig Potential verschenkt.
Und dann ist da noch das Finale, in dem der Film dann endgültig zu Kokolores mit der Extraportion Humbug wird. *SPOILER* Erst wird entdeckt, dass der Makohai zur Jungfernzeugung fähig ist, bereits den ersten Riesenschwarm zur Welt gebracht hat und die Nachkommen auch schon wieder trächtig sind. Wie es angesichts dieser Riesenmenge an Haien über lange Zeit nur zu zwei Todesopfern (Unfallopfer und Penner) kam, fragt man besser nicht, denn eigentlich müsste ja schon halb Paris weggesnackt worden sein. Die Passage mit der Unterwassersprengung von Liliths Rückzugsort ist noch recht spannend, die Raserei des Tieres während des Triathlons laut und opferintensiv, aber auch irgendwie egal. Und dann kommt der Knaller: Die schon vorher angeteaserten Weltkriegsgranaten in der Seine sind nicht etwa zur Haiauslöschung gut, sondern lösen eine Komplettüberflutung von Paris aus. Zwei Fragen: Warum ist angesichts dieser Sprengstoffbelastung Paris nicht schon vor Jahren in die Luft geflogen? Und können die Dinger auch Wasser herzaubern oder wo kommen die Wassermassen für die Überflutung her? *SPOILER ENDE* Immerhin ist das Ende überraschend pessimistisch, aber auch vor allem deshalb überraschend, weil es mit derartiger Idiotie herbeigeschrieben wurde. Gekrönt wird das noch mit einem Abspann, dessen Visualisierung ganz astrein aus „Planet der Affen: Prevolution“ geklaut wurde.
Aus seinem vorigen Film „Farang“ nahm Regisseur Xavier Gens dann gleich auch noch Hauptdarsteller Nassim Lyes mit, der eine solide Performance als tougher, aber einfühlsamer Bulle von der Wasserpolizei abgibt. Bérénice Bejo („OSS 117 – Der Spion, der sich liebte“) guckt den ganzen Film über in erster Linie besorgt, was wohl mal Trauma, mal grimmige Entschlossenheit simulieren soll, aber eine eher schwache Vorstellung bleibt. Anne Marivin („Narco“) macht sich zum Affen, Léa Léviant („Savage Days“) versucht so gut es geht die schwankende Drehbuchdarstellung ihrer Figur glaubhaft zu machen, was ihr angesichts des Kuddelmuddel-Scripts aber nur so halb gelingt. Und der Rest der Belegschaft ist kaum der Rede wert.
So mag man sich am Ende des Tages fragen, ob es wirklich fünf Drehbuchautoren (darunter Gens selbst) für diesen Kappes brauchte, aber vielleicht kann genau das den fertigen Film erklären. Es schrieb einfach jeder die Geschichte so wie er dachte und am Ende wurde das genau so verfilmt, ohne Achtung vor Kohärenz. Der eine hatte einen eher zurückgenommenen Haithriller im Sinn, der andere ein Over-the-Top-Spektakel mit unrealistischen, aber memorablen Szenen, der eine sah die Umweltbewegung als kompetente Grassroots-Aktivisten, der andere als weltfremde Gen-Z-Naivlinge usw. So sieht „Im Wasser der Seine“ inszenatorisch gut aus, hat eine innovative Prämisse und ist phasenweise ganz spannend, insgesamt aber inkohärenter und gegen Ende himmelschreiend doofer Kokolores, der für Gens-Verhältnisse auch noch eher zahm daherkommt. Wer das Gelungen von Haihorror vor allem am Bodycount festmacht, aber die Inszenierung desselben nicht so wichtig findet und sein Hirn gern mal auf Durchzug stellt, der kann mehr Spaß an „Im Wasser der Seine“ haben.
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Als Netflix-Eigenproduktion ist „Im Wasser der Seine“ aktuell nur bei dem Streamingdienst zu sehen. Von der FSK wurde er bisher nicht geprüft, Netflix empfiehlt ihn ab 16 Jahren.
© Nils Bothmann (McClane)
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