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Shanghai Blues

Originaltitel: Shang Hai Zhi Yen__Herstellungsland: Hongkong__Erscheinungsjahr: 1984__Regie: Tsui Hark__Darsteller: Sylvia Chang, Kenny Bee, Sally Yeh, Ken Boyle, Loletta Lee, Shing Fui-On, Tsui Hark, Woo Fung, Yu Ka-Hei u.a.
Cover

Das Poster der 4K-Restauration von „Shanghai Blues“.

Can’t Fight the Moonlight

Ein Sichelmond wacht wie ein Wegweiser über dem Himmel von Shanghai, der vom Zweiten Sino-Japanischen Krieg blutrot gefärbt ist. Der angehende Soldat Tung (Kenny Bee) und die junge Shu-Shu (Sylvia Chang) suchen unter einer Brücke Unterschlupf vor den Bombenangriffen. Der Mond ist nicht voll genug, als dass sie ihre Gesichter gegenseitig gut erkennen könnten. Sein Umfang ist auch noch zu schmal, als dass Tung ihn mit einem Lasso vom Himmel ziehen könnte, so wie es sich James Stewart in „Ist das Leben nicht schön“ (1946) in den Kopf gesetzt hatte. Die zunehmende Sichel am Firmament bedeutet zum Auftakt von Tsui Harks („Double Team“) Screwball-Komödie „Shanghai Blues“ vielmehr ein Versprechen der Zukunft in Zeiten des radikalen Wandels. Er soll als Omen verstanden werden, dass sich Schicksale auch aus dem totalen Chaos heraus noch fügen können.

Nicht nur füreinander, sondern auch für den Betrachter dieser frühen Schlüsselsequenz bleiben die eigentlichen Hauptfiguren zunächst Schatten am Rande. Der Blick bleibt permanent auf der Hintergrundkulisse haften, die sich künstlich, aber unendlich magisch hinter dem Brückenbogen erstreckt und das Filmische in all seiner bunten Pracht verströmt. Die asymmetrisch-surreale Skyline von Shanghai glitzert wie Pailletten am Kleid einer Sängerin auf einer scharlachfarbenen Bühne, und schon jetzt meint man das Titellied zu vernehmen, das im Weiteren eine ebenso verlässliche Konstante wie der Mond bleiben wird.

Filmen auf engstem Raum

Zwischen überfüllten Bahnhofsstegen, gut besuchten Marktstraßen und engen Apartments, angesiedelt zu einer Zeit der inneren und äußeren politischen Zerrissenheit, findet Hark perfekte Bedingungen vor, seine an das klassische Hollywood-Starkino angelehnte Mischung aus turbulentem Slapstick und zart-schmelzendem Gefühlstohuwabohu anzulegen. Wie so oft im romantischen Film geht es um die Erfüllung von Sehnsüchten gegen jedwede Wahrscheinlichkeit, und die Stochastik errechnet sich hier offenbar durch die Anzahl der namenlosen Statisten pro Quadratmeter, die sich wie Sandkörner aneinander reiben, um den zentralen Figuren Hindernisse zu sein, die es zu überwinden gilt. Hinzu kommen die klassischen Faktoren Zeit (in Form eines 10-jährigen Zeitsprungs nach dem Prolog) und Geld, jene Parameter, die die Lebensrealität der Überlebenden aus Kriegszeiten bestimmen.

Doch der enge Raum, der durch die maximale Bildfülle entsteht, ist gerade im Hongkong-Kino immer auch eine Chance. Hark, der sich spätestens zu Beginn der 90er sein Denkmal als Action-Regisseur zu zimmern begann, bedient hier im Grunde bereits sämtliche Tugenden seiner späteren Kernkompetenzen. Auch wenn handfeste Martial-Arts-Einlagen ausbleiben, ihre Philosophie spiegelt sich in den zahllosen spontanen physikalischen Verschiebungen der lebhaften Handlungsorte. Diesbezüglich hat „Shanghai Blues“ eine Menge zu bieten, begonnen mit einem an Stummfilmzeiten angelehnten Running Gag um die nicht enden wollende Kollision eines Tubaspielers mit den umstehenden Passanten. Für die Höhepunkte diesbezüglich sorgt ein Gauner, der auf dem Markt zunächst Dreh- und Angelpunkt einer klassischen Diebstahlsequenz ist, in Idee und Ausführung nicht unähnlich derjenigen aus dem Proto-Blaxploitationfilm „Cotton Comes to Harlem“ (1970). Schließlich folgt als Höhepunkt ein im Wortsinne unwahrscheinliches Versteckspiel in einem kleinen Apartment, das über Minuten hinweg mit jeder Wendung in der Choreografie nur noch unwahrscheinlicher wird und schließlich fast schon der Physik trotzt, nicht anders als ein elegant ausgeführter Wirework-Lufttanz.

Slapstick mit Substanz

Während der Regisseur seine Akteure so spielerisch durch die detailverliebten Kulissen steuert, versäumt er es aber keineswegs, auf den gesellschaftlichen Kontext zu verweisen, der mit dem historischen Setting verknüpft ist. Ethnische Konflikte kollidieren fortwährend miteinander, oftmals auch unauffällig am Bildrand, ebenso wie politische Ansichten, die das vom chinesischen Bürgerkrieg zerrüttete Land entzwei teilten, während die Kommunisten nach dem Zepter griffen. Da „Shanghai Blues“ teilweise im Entertainment-Milieu spielt, rückt zwangsläufig auch der Dandyismus ins Spiel, der sich als gelebter Individualismus im Kontext des bescheidenen Alltags nicht nur gut mit den Kernthemen des Films verknüpfen lässt, sondern in seiner gesteigerten Form als aufdringliches Gebaren reicher Exzentriker auch misogyne Aspekte mit sich führt. Selten werden solche Missstände von Hark direkt in den Vordergrund geschoben, sondern vielmehr durch die Beobachtung des gesamten Bildkaders ins Spiel gebracht, womit er seinem Ansatz treu bleibt, den Hintergründen ebenso viel Aufmerksamkeit zu schenken wie seinen wichtigsten Figuren.

Sylvia Chang, Kenny Bee und Sally Yeh, allesamt neben ihrer Schauspielerei auch im Musik-Business tätig, bleiben dennoch Herz und Seele eines Films, der manchmal ansteckend albern, manchmal luftig-komisch und hin und wieder auch ein wenig melancholisch sein kann. Die komplizierte Dreiecksbeziehung ist mit Verweis auf die klassische Screwball-Comedy eine eher klassische Konstellation, doch die von identitären Missverständnissen angetriebene Dynamik innerhalb dieses Dreiecks treibt die Handlung mühelos voran und vermag selbst die Subplots so organisch einzubinden, dass man keine Sketch-Episoden mehr vor sich sieht, sondern eine runde Geschichte in mehreren Akten.

„Shanghai Blues“ hat den Blues

„Shanghai Blues“ ist letztlich wie ein knallbuntes Musical über Liebe, Zufälle und den Lauf der Dinge – nur eben ohne Tanz und Musik, sieht man einmal vom omnipräsenten Titelsong ab… und vom schwerelosen Versteckspiel in den Menschenmassen Shanghais, das im Grunde dann doch als eine einzige große Tanzchoreografie durchgeht. Tsui Hark würde sich später noch stärker den technischen Aspekten seiner Filme zuwenden, kontextualisiert hat er sie aber selten schöner als hier.

Knappe:
8 von 10

Zu seinem 40. Geburtstag lief „Shanghai Blues“ im vergangenen Jahr auf dem Cannes-Festival im Classics-Programm als taufrische 4K-Restauration. Auf diese aufbereitete Fassung können Abonnenten des Streaming-Anbieters Mubi derzeit ebenfalls zugreifen (im Originalton mit optionalen deutschen Untertiteln). Es bleibt somit zu hoffen, dass diese Fassung auch irgendwann mal in physischer Form erscheinen wird. Derzeit existiert in Deutschland lediglich eine DVD, die im Jahr 2020 von Mr. Banker Films / Cargo Records veröffentlicht wurde. Die DVD verfügt neben dem kantonesischen Originalton auch über eine deutsche Synchronisation. Als Extra ist der Originaltrailer dabei.

Sascha Ganser (Vince)

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Copyright aller Filmbilder und Screenshots/Label: Mubi / Cannes Classics__FSK Freigabe: ab 6__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein / Ja

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