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Four Unloved Women, Adrift on a Purposeless Sea, Experience the Ecstasy of Dissection

Originaltitel: Quattro donne mai amate, alla deriva su un mare senza scopo, sperimentano l’estasi della dissezione__Herstellungsland: Italien__Erscheinungsjahr: 2023__Regie: David Cronenberg__Darsteller: n/a
Cover

Das Poster von „Four Unloved Women, Adrift on a Purposeless Sea, Experience the Ecstasy of Dissection“.

Vier ungeliebte Frauen, ziellos dahintreibend auf dem Meer, die Ekstase der Sektion erlebend. Benannt ist David Cronenbergs neuester Kurzfilm eher nach den Konventionen von Gemälde- statt Filmtiteln, und tatsächlich hätte man seinen Inhalt auch malen können anstatt ihn zu filmen, denn in ihm wird nichts gezeigt, was die Mittel eines Künstlers oder die Grenzen einer einzelnen Leinwand sprengen würde. Vier Wachsfiguren mit weiblicher Anatomie sind zu sehen, verblüffend realistisch in Form und Struktur und doch so tot wie ein Bündel Holzscheite. Dazu das vordergründige Plätschern der Wasseroberfläche, vermischt mit dem ächzenden und stöhnenden Hall von wispernden Frauenstimmen aus der gerade erst erloschenen Vergangenheit.

Unverkennbar handelt es sich um die direkte Fortführung einer sehr konkreten Phase zum Thema Tod, in der sich der Regisseur seit „The Death of David Cronenberg“ (2021) zu befinden scheint. Der Kreuzweg zwischen dem kurzzeitigen Flackern des Daseins und einem nicht allzu weit entfernten Status der Nichtexistenz wurde damals in einer morbiden Begegnung zwischen der (hoffentlich noch nicht allzu) bald verlöschenden Cronenberg-Seele und ihrer leeren Hülse auf den Punkt gebracht. Nun befinden wir uns gewissermaßen auf der anderen Seite, im Limbus der Befreiung, der nichts mehr kennt als einen Zustand der Schwebe und Zersetzung.

Folglich ist das Badewasser-Experiment von lebendigem Darstellermaterial dieses Mal völlig befreit. Es besteht aus nichts anderem als vier Minuten Stillleben, segmentiert in kurze Einstellungen von unterschiedlichen Brennweiten, in Bewegung versetzt durch weiche Zooms, Verlagerungen der Schärfe und langsame Kameraschwenks, die wie ein Defibrillator auf leblose Körper gepresst werden. Stets hat man dabei das Gefühl, immer nur einen Bildausschnitt ein und desselben Arrangements zu Gesicht zu bekommen, welches theoretisch mit einem Wide-Angle-Shot in seiner Gesamtheit zu erfassen wäre.

Ohnehin geht es Cronenberg aber eher um die Details, in denen er die Lebensechtheit und die Künstlichkeit des eingefangenen Objekts gleichermaßen im unmittelbaren Wechsel entlarvt. Feine Adernetze werden im Close-Up sichtbar, zu verschwenderisch im Detail eigentlich, um eine abstrakte Skizze des Lebens zu sein. Perfekt geformte Silhouetten der Weiblichkeit bilden sich durch die natürlich wirkende, lockere Haltung der Körper. Mit Wasser benetztes Menschenhaar klebt auf Wachs, wie es auch auf Haut kleben würde, nass, dünn und dunkel. Auf der anderen Seite wiederum fehlen gewisse Details, etwa die Falten und Unebenheiten auf der glatten, sich im Licht spiegelnden Membran. Gerade die ausdrucks- und seelenlosen Puppenköpfe, die die Abwesenheit von Leben letztlich verraten, werden keineswegs versteckt, sondern sogar hervorgehoben. Der bronzene Teint der Ausstellungsobjekte steht dabei als Symbol für Vitalität im Kontrast zu ihrer Leblosigkeit.

Die „Cere anatomiche“, eine Ausstellung in Kollaboration zwischen dem Regisseur und dem „La Specola“, dem Florenzer Museum für Zoologie und Naturgeschichte, diente als Brutstätte der Idee hinter dem Kurzfilm. Nicht zuletzt wurde sie auch zum Teilelager, stammen doch die vier im Film gezeigten Objekte aus der Ausstellung. Was Cronenberg da als „Ekstase“ bezeichnet, ist letztlich nichts anderes als der Ausdruck der Entspannung in Gesicht und Haltung der Präparate, der im krassen Gegenstand zu ihrem körperlichen Zustand steht, welcher bei vollem Bewusstsein eigentlich einen Ausdruck des Entsetzens zur Folge haben müsste. Nicht von ungefähr spiegelt sich das Dargestellte zahlreich im Gesamtwerk Cronenbergs; Es ist die Medizin aus „Die Unzertrennlichen“, die Funktionalität aus „eXistenZ“ und die Transition von „Die Fliege“ in einem,in Empfang genommen mit einer gewissen Zufriedenheit, die dem körperlichen Verfall widerspricht.

Der Ozean, der nicht ganz ohne Parallelen zum „Infinity Pool“ von Sohn Brandon auskommt, wertet dahingehend nicht; er wippt lediglich hin und her und zeugt von einer Unendlichkeit, die dem Menschen nicht vorbehalten ist.

„Four Unloved Women, Adrift on a Purposeless Sea, Experience the Ecstasy of Dissection“ ist schnell als etwas identifiziert, das im Grunde „weg kann“, das um Interpretation fleht, das aber nur deswegen überhaupt von einer gewissen Relevanz ist, weil es im Schaffen Cronenbergs kontextualisiert werden kann. Völlig ungerührt bleibt man von dieser im Takt der Meeresbrise seufzenden Collage aus organischen Bildfragmenten aber nicht. Und wenn es nur die innere Faszination für körperlichen Horror ist, die uns beim Anblick dieser perfekten Formen aus Organen und Plastiken wünschen lässt, Effekte von gleicher Qualität mögen auch im nächsten Langfilm des Kanadiers ihren Einsatz bekommen, um mit scharfer Schneide seziert werden zu können.

*Ohne Wertung*

„Four Unloved Women, Adrift on a Purposeless Sea, Experience the Ecstasy of Dissection“ kann derzeit über den Streaming-Anbieter Mubi gestreamt werden.

Sascha Ganser (Vince)

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