Originaltitel: Fumer fait tousser__Herstellungsland: Frankreich__Erscheinungsjahr: 2022__Regie: Quentin Dupieux__Darsteller: Anaïs Demoustier, Gilles Lellouche, Alain Chabat, Benoît Poelvoorde, Vincent Lacoste, Adèle Exarchopoulos, Doria Tillier, Oulaya Amamra, Blanche Gardin, Grégoire Ludig, Jean-Pascal Zadi, Julia Faure David Marsais, Raphaël Quenard, Anthony Sonigo, Jérôme Niel, Jules Dhios Francisco u.a. |

Das Cover der britischen Picture-House-Blu-ray von „Smoking Causes Coughing“.
„Aus großer Kraft folgt große Verantwortung“. Der großväterliche Ratschlag, den Stan Lee einst seiner Kreation Spider-Man mit auf den Weg gab, ist längst so tief in der globalen Popkultur verankert, dass wohl jedes Kind ihn zitieren kann. Quentin Dupieux hingegen ist fast unzitierbar geworden, scheint er der Popkultur doch vor langer Zeit durch die Finger geglitten zu sein. Gefühlt war er zuletzt vor einem Vierteljahrhundert in ihrem Klammergriff, damals noch unter dem Pseudonym „Mr. Oizo“, als sein Musikvideo zu „Flat Beat“ auf MTV hoch- und runter lief.
Inzwischen genießt der Franzose lieber seine Freiheit als surrealistischer Filmemacher. Als solcher schießt er neuerdings locker ein bis zwei Filme pro Jahr aus der Hüfte, die zumeist genügsam jeweils um eine einzelne verschrobene Idee zirkulieren, die sich still und heimlich in kleinen Kulissen ausbreitet. Umso überraschender, dass sein zweiter Schuss des Jahres 2022 (nach „Unglaublich, aber wahr“) eine Kausalität im Titel trägt, die sich wie eine Paraphrase des Spider-Man-Mantras liest: „Smoking Causes Coughing“.
Tatsächlich haut Dupieux hier mal wieder ausnahmsweise so richtig einen für den gesamten Erdball raus. Von internationalem Format ist schon das offizielle Filmplakat, auf dem das im Zentrum der Handlung stehende Superheldenensemble, die Tobacco Force (Gilles Lellouche, Vincent Lacoste, Anaïs Demoustier, Jean-Pascal Zadi, Oulaya Amamra), mit dem militärischen Stolz der Marionetten aus der britischen Puppentrickserie „Thunderbirds“ (1965) posiert. In Aktion wendet sich die Ästhetik eher den japanisch-amerikanischen „Power Rangers“ (1993) zu, wie sie in einem Steinbruch gegen einen missglückten Gamera-Klon kämpfen.
Der Leiter der Operation, eine hässliche, gerupfte Ratte in Form einer Handpuppe irgendwo zwischen Flat Eric aus „Flat Beat“ (1999) und Trevor aus „Meet the Feebles“ (1989), wirkt wie eine Parodie auf Charlie aus „Drei Engel für Charlie“ (1976) oder M aus den James-Bond-Filmen. Schlussendlich geht es um das Wohl der gesamten Welt, das aus unerfindlichen Gründen auf dem Spiel steht; so wird es zumindest auf den Kommunikationswegen über den Transmitter behauptet. Die Kamera findet natürlich zu keiner Zeit aus der Froschperspektive französischer Berg- und Waldlandschaften heraus, um sich selbst ein Bild von der globalen Lage zu machen. So reduziert muss es dann schon sein.
Auch wenn der Geltungsbereich größer ist als gewöhnlich: Einmal mehr braucht Dupieux keine 80 Minuten, um seinen Punkt zu machen. Allerdings ist er diesmal großzügiger, was die Garnitur angeht. Nach wenigen Minuten regnet es bereits Schildkrötengedärme bis in die Zuschauerränge hinein, anschließend wird die südfranzösische Idylle am Lac de Peïroou mit einem retrofuturistischen Wohncontainer zerrupft, der direkt aus „Raumpatrouille Orion“ (1966) ans Set gebeamt worden zu sein scheint. Ein Roboter, der den Superhelden mit mehr oder weniger sinnvollen Funktionen assistiert, würzt das Ganze noch mit einer ordentlichen Portion „Verschollen zwischen fremden Welten“ (1964). Kurzum, „Smoking Causes Coughing“ bietet auch plakative Schauwerte und nicht nur trockene Thesen, die erst durch die absurde Montage von Alltäglichem in etwas Ungewöhnliches verwandelt werden müssen, auch wenn sich die Schauwerte natürlich nicht an State-of-Art-Spezialeffekten oder zeitgemäßen Sehgewohnheiten orientieren, sondern lieber an 60 Jahre alten TV-Standards.
Was da aber so schön nostalgisch blendet mit platzenden Monstern, blauen Latex-Uniformen und titanveredelten Schlafbaracken, ist lediglich die schicke Verkleidung für die ganz normalen Dupieux-Verzweigungen, bei denen quer stehende Synapsen scheinbar willkürlich miteinander gekoppelt werden. Immer noch ist es schwer bis unmöglich, vorherzusagen, was jeweils als nächstes passieren wird. Am Ende stellt sich zwar heraus, dass Quentin Dupieux von Anfang an konsequent auf sein auserkorenes Ziel hingearbeitet hat, aber die Art, wie er dies tut, ist mal wieder hochgradig exzentrisch.
Schaut in den Trailer zu „Smoking Causes Coughing“
Das beginnt bereits bei der Wahl der Erzählform. Weil sich „Smoking Causes Coughing“ an die Fersen der Patrouille heftet, die in recht alberner Garderobe recht seltsame Dinge tut, haben wir es rein formal mit einem Vertreter der Ensemble-Komödie zu tun. Gelegentlich reißt der Regisseur und gleichzeitige Autor bzw. Editor aber immer wieder Zeitlöcher in die Rahmenhandlung, um Kurzgeschichten im Stil einer Lagerfeuer-Anthologie einzuflechten, die manchmal wenige Sekunden dauern können, manchmal mehrere Minuten (so dass man fast die Haupthandlung aus den Augen verliert) oder schlichtweg gar nicht erst erzählt werden, weil der Erzähler immer wieder unterbrochen wird.
Diese Episoden drehen sich um Personen, Tiere oder Gegenstände, die auf den ersten Blick nicht das Geringste miteinander zu tun haben scheinen; ein Fisch, der über die Wasseroberfläche lugt und eine schreckliche Entdeckung macht, ein Helm, der seinen Träger unter einen Bann der Isolation stellt, ein Arbeiter, der mit den Beinen in eine Häckselmaschine geraten ist. Erst bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass Dupieux mit den teils gellend surrealen Zutaten das gleiche Sujet auf unterschiedliche Arten befeuert. Alles dreht sich um das paradoxe Verhalten der Menschheit, die sich sehenden Auges immer tiefer ins Schlamassel reitet – weil der Egoismus ungezügelt bleibt, die falschen Schlüsse gezogen werden und Verdrängungsmechanismen aktiviert werden. Von Fischen, Helmen und Häckslern – eine Anhäufung völlig unterschiedlich geformter Metaphern und Allegorien, die das gleiche Objekt abbilden.
Doch nicht erst in den Kurzgeschichten entfaltet sich die Quintessenz von „Smoking Causes Coughing“, sie umnebelt bereits die Heldengarde in der Haupthandlung, in der ein vordergründig simpler Einsatz zu einer zutiefst komplizierten Angelegenheit gerät, bei der die Helden dazu gezwungen sind, hinter den Meta-Vorhang ihres Daseins zu blicken. Verräterisch sind bereits die nahtlos ins Fiktionale überleitenden Schnitte, die sich in der Inszenierung und der typisch weichen Sepia-Optik der meisten Dupieux-Werke keinen Deut vom zentralen Akt unterscheiden.
Mit einer zuletzt nicht mehr oft in dieser Ausprägung gesehenen Sorgfalt verknüpft Dupieux die verschiedenen Erzählebenen und findet immer gerade die richtigen Objekte oder Dialogzeilen, um seinen Argumenten Gewicht zu verleihen. Wenn der Anführer der Tobacco Force einem jungen Fan erklärt, wie der Einsatz von Tabak im Kampf gegen das Böse pädagogisch einzuordnen ist, werden damit praktisch im Nebensatz die subversiven Methoden der Werbung und die Werkzeuge von Filmkritikern gleichermaßen rasiert, und doch steckt noch weit Größeres in dieser beiläufigen Belehrung, ein Kommentar nämlich zur Unfähigkeit der menschlichen Spezies, die Zeichen der Zeit richtig zu interpretieren.
Auf diese Weise gelingt es Dupieux eindrucksvoll, Massen an Subtext in die kurze Laufzeit zu packen. Zugleich ist er diesmal auch wieder dazu in der Lage, auf optischer Ebene etliche Überraschungen zu bieten. Wenn auf einmal der Fisch auf dem Grill zu sprechen beginnt oder sich hinter der Kühlschranktür ein kleiner Supermarkt mit Personal entfaltet, sollte man sich eigentlich nicht mehr wundern… man tut es aber doch. Und weiß hinterher umso freudiger anzuerkennen, dass es sich nicht um redundante Spielereien handelt, sondern um wohldurchdachte Kniffe, die alte Mär von der Apokalypse in einer Manier zu erzählen, wie sie noch nie zuvor erzählt wurde.
Etwas Besseres als „Smoking Causes Coughing“ hat Quentin Dupieux jedenfalls lange nicht hingelegt. Unter dem Gewand einfältiger Action-Unterhaltung im Stil japanischer Tokusatsu-Programme setzt das Enfant Terrible des surrealistischen Kinos zu einer Retro-Superheldenerzählung an, um sie in eine Lagerfeuergeschichte mit Weltuntergangsstimmung münden zu lassen. Die Bilder, die er findet, um die Menschheit zu beschreiben, mögen bei Erstkontakt wirr und zusammenhanglos erscheinen, doch hat man einmal den richtigen Winkel des Kippbilds gefunden, findet man ein verblüffend zutreffendes Portrait vor.
Knappe
Nach Deutschland hat es „Smoking Causes Coughing“ bisher noch nicht geschafft, weshalb er hier auch noch unter seinem internationalen Titel geführt wird (Originaltitel: „Fumer fait tousser“). Diese Rezension basiert auf der britischen Blu-ray von Picture House Entertainment, die im September 2023 mit recht magerer Ausstattung erschien: Es handelt sich um eine Single-Layer-Disc in einem einfachen Amaray Keep Case ohne Wendecover oder Booklet.
Der Hauptfilm kann nur im französischen Originalton abgespielt werden, man hat dabei aber die Wahl zwischen DTS-HD Master Audio 5.1 Surround Sound oder Linear PCM Stereo. Englische Untertitel sind sowohl als Standard als auch für Hörgeschädigte an Bord. Bei den Extras findet man lediglich den Kinotrailer (mit den gleichen Audio-Optionen wie beim Hauptfilm und festen englischen Untertiteln). Bleibt zu hoffen, dass sich auch hierzulande demnächst jemand dieser kleinen Perle des surrealistischen Films annimmt.
Sascha Ganser (Vince)
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