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Carry-On

Originaltitel: Carry-On__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2024__Regie: Jaume Collet-Serra__Darsteller: Taron Egerton, Jason Bateman, Sofia Carson, Danielle Deadwyler, Tonatiuh, Theo Rossi, Logan Marshall-Green, Dean Norris, Sinqua Walls, Curtiss Cook, Joe Williamson, Gil Perez-Abraham, Josh Brener, Benito Martinez u.a.
Carry-On

In „Carry-On“ von Jaume Collet-Serra gerät Taron Egerton in die Fänge von Schurke Jason Bateman

Weihnachten ist ein beliebtes Setting für Actionthriller, allerspätestens seit dem genredefinierenden Erfolg von „Stirb langsam“. Auch Netflix wollte sein Portfolio um eine Eigenproduktion dieser Art erweitern, weshalb der Streamingriese „Carry-On“ fabrizierte.

Genrefans dürfen ein Nostalgietränchen verdrücken, erinnert der Film von Jaume Collet-Serra („Black Adam“) doch vom Feeling schwer an die Actionthriller der 1990er. Das fängt schon beim Auftakt an, wenn ein namenloser Schurke (Jason Bateman) ein geheimnisvolles Päckchen abholt, seine Geschäftspartner allerdings in Blei und Gift bezahlt, ehe er ihre Bude anzündet. Die Identität des Mannes, der in den Credits nur als Traveler bezeichnet wird, bleibt ähnlich nebulös wie jene seiner Komplizen – Menschen, die man teilweise erstmal nur hört, die nur über ihren Auftrag sprechen, die Rädchen im Getriebe eines perfiden Plans sind. In dessen Zentrum steht der Flughafen von Los Angeles, der bald zum Haupthandlungsort wird.

An diesem Flughafen arbeitet Ethan Kopek (Taron Egerton) für den Sicherheitsdienst. Die Aufnahmeprüfung an der Polizeischule hat er vermasselt und es danach nie wieder versucht, jetzt arbeitet er seit drei Jahren am Airport und ist mit seiner Kollegin Nora Parisi (Sofia Carson) zusammen, die ein Kind von ihm erwartet. Doch so ganz zufrieden ist er nicht, will Initiative zeigen und sorgt damit für Sand im Getriebe der Terroristen, wenn er an Weihnachten anstelle eines Kollegen den Check der Gepäckstücke übernimmt. Passend zum Flair des Films ein Held alter Schule, irgendwo zwischen einem Normalo-Cop wie John McClane und einem Everyman wie Richard Kimble, wie sie in den 1990ern ebenfalls schwer angesagt waren, als die Ein-Mann-Armeen der 1980er mehr und mehr aus der Mode kamen.

Doch die Schurken improvisieren, finden viel über Ethans Privatleben heraus und jubeln ihm einen Ohrstöpsel unter, über den sie ihn anfunken. Er soll ein bestimmtes Gepäckstück durchlassen, andernfalls stirbt Nora. Ethan versucht verzweifelt seine Freundin zu schützen, gleichzeitig aber den Plan der Schurken zu durchkreuzen, die ihn beständig observieren…

Schaut euch den Trailer zu „Carry-On“ an

Dass sich „Carry-On“ an Actionthrillern alter Schulter orientiert, trifft nicht nur auf Prämisse und Feeling zu – manches ist direkt von dort entfliehen. Der Flughafen, der von gut trainierten Schurken infiltriert wird, hat viel von „Stirb langsam 2“, zwischenzeitlich darf man sich bei einigen Szenen und Plot Points an „Passagier 57“, „Einsame Entscheidung“ und „Tödliche Weihnachten“ erinnert fühlen, während das Motiv vom unbescholtenen Bürger, der zum Werkzeug der Bösewichte werden soll, mehrfach durchexerziert wurde. Auch von Regisseur Collet-Serra selbst, der mit den Liam-Neeson-Actionthrillern „Non-Stop“ und „The Commuter“ bereits in diese Kerbe schlug, ersterer sogar mit Flugzeugsetting. So ist die eine oder andere Wendung schon deutlich absehbar – man ahnt schnell, dass die Politikerin, die in einem Nachrichtenbeitrag erwähnt wird, später noch eine Rolle spielen wird oder dass die rote Erkennungsschleife am titelgebenden Stück Handgepäck noch von Bedeutung sein wird.

Carry-On

Ethan Kopek (Taron Egerton) wird von den Schurken erpresst

Drehbuchautor T.J. Fixman stammt aus dem Gamebereich, schrieb dort unter anderem für die „Ratchet & Clank“-Serie, ehe mit der Kinoversion dieser Videospiele sein erstes Filmdrehbuch vorlegte. Mit seinem Zweitling „Carry-On“ erweist er sich dann als braver Kopist bekannter Stoffe, wie man an deutlich durchscheinenden Vorbildern erkennen kann. Doch auch wenn er nicht die Originalität für sich gepachtet hat, so funktioniert das Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem wackeren Wachmann und den trickreichen Terroristen meist doch auf bekannte Art recht sauber. Ethan sucht nach Schwachstellen in deren Überwachung, scheitert manchmal, hat manchmal Erfolg, wobei die Schurken mit gelegentlichen Machtproben ihre Gefährlichkeit unterstreichen. Das kratzt bisweilen an der Glaubwürdigkeit, gerade wenn man sieht, was die Schurken alles an Equipment in den Nicht-Sicherheitsbereich des Flughafens schmuggeln konnten und wie viele Notfallpläne sie im Gepäck haben, aber das geht mit etwas Suspension of Disbelief schon klar.

Ähnlich wie schon bei früheren Actionthrillern des Regisseurs liegt die Betonung deutlich mehr auf dem Thrill als auf der Action, einige entsprechende Einlagen hat aber auch „Carry-On“ zu bieten. Einige Fäusteleien und Schusswechsel stehen auf dem Plan, meist eher kurz und roh, weil Ethan eben kein ausgebildeter Elitekämpfer ist. Einfallsreich gemacht ist eine Konfrontation auf den Gepäcksortierbändern im Bauch des Flughafens. In der Filmmitte gibt es zudem eine One-Take-Sequenz, in der zwei Personen in einem Auto in voller Fahrt kämpfen, was natürlich zu entsprechenden Crashs führt. Das CGI ist hier teilweise sehr deutlich, die Musikwahl mit „Last Christmas“ von Wham! soll für Weihnachtsstimmung sorgen, verursacht aber eher Ohrenbluten. Und doch hat dieses Kabinettstückchen aufgrund seiner originellen, dynamischen Umsetzung mehr Stärken als Schwächen.

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Der namenlose Oberschurke (Jason Bateman) zieht die Fäden

Andere seiner Trademarks, vor allem in Sachen Kamera und Rauminszenierung, kann Collet-Serra dagegen weniger stark als in früheren Filmen zum Einsatz bringen. Zwar bemüht er sich Schlüsselpunkte des Flughafens früh und übersichtlich zu zeigen, kann aber aufgrund der Größe seines Spielfelds dies nicht ganz so einprägsam etablieren wie ein Flugzeug („Non-Stop“), einen Zug („The Commuter“) oder ein Stück Surferstrand („The Shallows“). So arbeitet zwar auch „Carry-On“ mit räumlicher (Flughafengelände) und zeitlicher Verdichtung (Zeit bis zum Abflug der Maschine), kann diese aber nicht so klar vermitteln wie andere Filme von Collet-Serra. Auch das Weihnachtssetting ist eher Alibi, weshalb das Publikum öfter mal durch entsprechende Songs daran erinnert wird. Intradiegetisch sorgt das Fest dann auch für mehr Fluggäste und mehr Hektik, aber letzten Endes könnte „Carry-On“ auch quasi an jedem anderen Hochfrequenz-Tag im Flughafen spielen.

Ansonsten ist „Carry-On“ solide Gebrauchsware, bei der die Figurenzeichnung von Ethan und Nora eher zweckmäßig ist, gerade der Background zu Ethan und seinem Verhältnis zur Polizei mag zwar interessant gedacht sein, bringt dem Charakter aber kein Mehr an Tiefe. Die genauen Motive der Schurken bleiben auch lang nebulös, doch trotzdem kann die Fraktion der Übeltäter Profil beweisen. So gehören die Duelle zwischen Ethan und seiner Nemesis zur den stärksten des Films, sei es bei einer echten Handgreiflichkeit oder einfach nur beim Taktieren, wenn die beiden über den Ohrstöpsel sprechen. Das gegenseitige Belauern des streetsmarten Malochers Ethan und des überheblich-gerissenen Masterminds am anderen Ende der Leitung sorgt mit für die spannendsten und einprägsamsten Momente des Films.

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Um Nora Parisi (Sofia Carson) zu beschützen, lässt sich Ethan auf das Spiel der Terroristen ein

So liefert Jason Bateman („Central Intelligence“) auch die schauspielerische Bestleistung des Films ab. Man kennt Bateman eher als Comedian, doch er hat auch schon außerhalb jenes Genres gespielt und auch schon öfter Schurken verkörpert. Zumal sein namenloser Bösewicht das Pedantische und Besserwisserische seiner Michael-Bluth-Rolle aus „Arrested Development“ in eine diabolische Form kanalisiert. Taron Egerton („Kingsman“) schlägt sich solide als Normalo-Actionheld, während „Carry-On“ noch mit einer Handvoll von bekannten Gesichtern in markigen Nebenrollen aufwartet: Dean Norris („Lethal Weapon 2“) als Ethans Boss, Benito Martinez („Fist of Justice“) als Sicherheitschef des Flughafens, Theo Rossi („Vendetta – Tag der Abrechnung“) als Komplize des Schurken und Logan Marshall-Green („Upgrade“) als FBI-Agent. Wesentlich weniger Raum zum Glänzen bekommen Sofia Carson („Songbird“) als Freundin in Gefahr und Danielle Deadwyler („The Harder They Fall“) als aufgeweckte LAPD-Polizisten, da das Script ihnen eher 08/15-Parts mit wenigen memorablen Szenen liefert.

Dass Caullet-Serra Action und Thrill inszenieren kann, beweist auch „Carry-On“, wenn auch nicht auf dem Niveau seiner besten Arbeiten. Dafür ist das generische Drehbuch etwas zu vorhersehbar und der Held nicht markant genug. Dank eines starken Oberbösewichts, mehrerer gelungener Action- und Spannungspassagen und eines ordentlichen Tempos ist „Carry-On“ aber eine solide Sache, ohne dass „Stirb langsam“ und Co. echte Konkurrenz fürchten müssen.

Als Netflix-Eigenproduktion ist „Carry-On“ aktuell nur dort zu sehen und wurde bisher nicht offiziell von der FSK geprüft. Der Streamingdienst empfiehlt ihn ab 12 Jahren.

© Nils Bothmann (McClane)

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