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The Comic

Originaltitel: The Comic__Herstellungsland: Großbritannien__Erscheinungsjahr: 1985__Regie:Richard Driscoll__Darsteller: Steve Munroe, Berderia Timini, Jeff Pirie, Bernard Plant, Bob Flag, Vass Anderson, Simon Davies, Gary Twomey, Joy Lale, Eddie Blackstone, Gabe Cameron, Philip Hope u.a.

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Poster

Das alternative Cover der Arrow-Video-Edition von „The Comic“

Eine grobe Holzkelle fährt auf eine Schüssel mit klumpigem Brei nieder. Eigens für diese Einstellung wurden sich windende Maden darauf verteilt. Dann landet die ganze Sauerei auf dem Teller eines Insassen. Wir befinden uns offenbar in einer Gefängniskantine. Eine Gruppe uniformierter Polizisten läuft im Stechschritt. Nebel steigt auf und legt sich über die kargen Kulissen, die lediglich aus Beton und Dunkelheit zu bestehen scheinen. Harter Schnitt. Ein Comedian verbreitet auf der Bühne im grellen Licht schlechte Witze. Vom Publikum, das erst durch einen weiteren Schnitt ins Bild gerät, ist er vollständig entkoppelt. Das Publikum ist sich aber einig darin, trotzdem lachen zu wollen… mechanisch, künstlich, freudlos. Im Stechschritt, sozusagen.

Das Nebeneinander aus Chaos und Ordnung ist der einzige Kompass, den Richard Driscoll anzubieten hat, um ein tieferes Verständnis für seine hochgradig konfuse Dystopie „The Comic“ zu entwickeln. Es sind hauptsächlich die Schatten anderer Dystopien jener Zeit, anhand derer man sich zusammenreimen kann, was der Regisseur da im Schilde führt; Michael Radfords „1984“ (1984) und Terry Gilliams „Brazil“ (1985) in erster Linie. Sie füllen die Intension von „The Comic“, wo „The Comic“ sie nicht selbst zu füllen vermag. Selbst die Nachklänge von Stanley Kubricks „Clockwork Orange“ (1971) verheddern sich noch in der absurden Perücke des Hauptdarstellers, die durch ihre wallende Frisur und ihre knallige Tönung so raffgierig ausfällt, dass sie mitunter das komplette Szenenbild auffrisst.

The Comic

Die blasse Haut kommt daher, dass die Briten außer Regen und Nebel halt kein Wetter kennen.

Im Kern geht es in dieser Endzeitvariante mit zutiefst britischem Kolorit um einen Comedian, der gewaltsam einen Konkurrenten aus dem Weg räumt und während seines nachfolgenden beruflichen und gesellschaftlichen Aufstiegs von den Geistern der Vergangenheit geplagt wird. Um Vorbilder wie „Lenny“ (1974) oder „The King of Comedy“ (1982) macht der Film dabei keinerlei Geheimnis, Letzterer wird sogar namentlich erwähnt. Möchte man aber von der Synopsis in die verschlungenen Details des Drehbuchs mit Dialog, Charaktermotivation und Handlungskontinuität eintauchen, stürzt man in ein endloses Vakuum, auf das permanent sinnlose Fragmente niederregnen, die keinerlei Struktur ergeben.

So kümmert sich Driscoll kaum um einen roten Faden, sondern steckt lieber unheimlich viel Energie in die Gestaltung surreal anmutender Schlüsselbilder, die er mit allen Methoden der Filmkunst zu etwas Bedeutsamem aufbläst. Er lässt Scheinwerfer auf Nebelschwaden prallen und lethargische Zeitlupenaufnahmen in doppelte Geschwindigkeit übergehen, er nutzt Point-of-View-Shots, um den Betrachter in die Szenerie zu verfrachten, und auffällige Kamera-Kranfahrten, um seine Szenen mit einer visuellen Pointe abzuschließen. Er legt seinen Darstellern prätentiöse Bilder in den Mund, die weit über ihren Geltungsrahmen quellen. Seinen Hauptdarsteller malt er für eine Sequenz sogar an, im Performance-Art-Stil eines Dämonen aus einem japanischen Geisterfilm, nur ohne deren geschichtlich gereifte Tiefe. Kurzum bedient er sich der Mittel der hohen Künste, ohne sie jemals wirklich zu beherrschen.

The Comic

Evil Laughter kurz vor Entladung.

Steve Munroe chargiert dabei in der Hauptrolle mit Leibeskräften mit seiner eigenen Kopfbedeckung um die Wette. Mit den Stielaugen eines Theatralikers auf Acid versucht er die dramatischen Höhe- und Wendepunkte des Drehbuchs noch einmal zu unterstreichen und zugleich eine kosmisch verfremdete Aura zu etablieren, als habe er die von David Bowie während der Produktion von „Der Mann, der vom Himmel fiel“ abgestreifte Haut in der Mülltonne gefunden und sich hineingezwängt, um nun als leichenblasse Presswurst durch eine undefinierte Endzeitvision zu watscheln, esoterischen Unsinn von sich zu geben und verstörend viel Sex zu haben. Überhaupt ist es erstaunlich, wie viel mehr Haut als Gewalt zur Schau gestellt wird. Beinahe so, als hätte die dargebotene Körperlichkeit irgendeine tiefere Aussagekraft.

Die fehlende (oder sich zumindest kaum erschließende) Intertextualität des Films und das Missverhältnis zwischen Form und Inhalt führt natürlich umgehend zu einem sich steigernden Desinteresse beim Zuschauer, einfach weil das Nichtvorhandensein jedweden Kontextes auch die Neugier auf den Ausgang der Geschichte tilgt. Gleichwohl kann man sich nicht ganz von einer morbiden Faszination für die jeweiligen Szenenbilder und das, was in ihnen geschieht, lossagen, jedenfalls nicht, wenn man eine gewisse Schwäche für bizarre Kunstfilme hat. Da sind schon einige Momente in „The Comic“, die sich ins Hirn brennen, und sei es nur, weil sie so unglaublich seltsam, abseitig oder schrullig wirken. Vielleicht, weil sie allesamt an bekannte Science-Fiction-Muster erinnern, die durch karikatureske Überzeichnung jedoch dermaßen verfremdet werden, dass man sie mit nichts jemals Dagewesenem mehr so richtig vergleichen kann.

The Comic

Gestrippt wird recht viel in „The Comic“.

Und so löst sich „The Comic“ mit jeder Minute von allen uns bekannten filmischen Kategorien, um seinen eigenen Naturgesetzen zu frönen, so abwegig sie auch erscheinen mögen. Das macht ihn zu einer anstrengenden, mehr gewollten als gekonnten Kuriosität, die sich nach der gleichen Logik verhält wie die Rubberband-Realität in einem Alptraum: Mal bleibt man stecken, mal flieht man wie ein Hase über das Feld und nichts ergibt einen Sinn, aber wenn man Glück hat, bleiben nach dem Aufwachen ein paar unglaubliche Eindrücke zurück, die man nicht mehr vergessen kann.

04 von 10

Informationen zur Veröffentlichung von „The Comic“

Schaut in den Trailer

In den ersten 35 Jahren seiner Existenz scheint „The Comic“ ein Dasein im Limbus geführt zu haben. Jedenfalls lassen sich nur wenige Nachweise finden, dass diese cineastische Seltsamkeit aus dem Jahr 1985 nach Veröffentlichung tatsächlich irgendeinem Publikum vorgeführt wurde. Die 2020er-Blu-ray-Veröffentlichung von Arrow Video („Jesus Shows You The Way To The Highway„, „White Fire„) kam also ein wenig aus dem Nichts und dürfte sich wohl hauptsächlich an experimentierfreudige Skurrilitätensammler richten. Die bekommen hier eine vom Label frisch restaurierte Version zu sehen, die allerdings materialbedingt nur bedingt HD-Gefühle aufkommen lässt. Das in 2K-Auflösung gescannte 35mm-Negativ zeichnet sich szenenweise durch heftige Körnung aus, die auch durch den Einfall künstlichen Scheinwerferlichts auf konturarme dunkle Bereiche begünstigt wird; in helleren Szenen nimmt sich das Korn stark zurück und das Bild entwickelt einen völlig anderen Charakter.

Insgesamt fühlt man sich aber, obwohl in Farbe gedreht, visuell an so manches Lynch-Frühwerk wie „Eraserhead“ oder „Der Elefantenmensch“ erinnert, vielleicht auch an den ebenfalls im Hause Arrow erschienenen Cyberpunk-Streifen „Burst City“. Der englische Ton läuft zwar über zwei Kanäle, basiert aber auf einer Monoquelle, die, wiederum materialbedingt, ziemlich stumpf und hallend klingt. Ganz anders natürlich der Re-Release-Trailer im Bonusmaterial, der mit seinem fetzigen Stereo-Mix und dynamischen Schnitt richtig Lust auf den Film macht. Weiterhin enthalten ist ein 17-minütiges Interview mit Hauptdarsteller Steve Munroe, der auch ein kurzes optionales Vorwort zum Film einsprach, sowie ein Audiokommentar von Regisseur Richard Driscoll, der aber nur für ausgewählte Szenen zur Verfügung steht. Der Kommentar liegt daher nicht über dem Hauptfilm, sondern ist als separates Video-Feature über einer auf 50 Minuten eingedampften Version des Films zu hören. In der Erstauflage findet man außerdem ein 24-seitiges Booklet mit einem Essay von Arrow-Produzent Ewan Cant. Ferner gibt es das Ganze noch als „Limited Edition“ mit einem Cardsleeve inklusive alternativem Artwork der „Twins of Evil“.

Sascha Ganser (Vince)

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Copyright aller Filmbilder/Label: Arrow Video__Freigabe: BBFC18__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein (nur Ausland)

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