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Apostle

Originaltitel: Apostle__Herstellungsland: USA/Großbritannien__Erscheinungsjahr: 2018__Regie: Gareth Evans__Darsteller: Dan Stevens, Michael Sheen, Lucy Boynton, Bill Milner, Kristine Froseth, Paul Higgins, Mark Lewis Jones, Elen Rhys, Annes Elwy, Ross O’Hennessy, Richard Elfyn, Ioan Hefin, Juke Hardy u.a.
Apostle

„Apostle“ von „The Raid“-Schöpfer Gareth Evans ist Folk Horror in der Tradition von „The Wicker Man“

Für „Merantau“, „The Raid“ und dessen Sequel ist Gareth Evans in erster Linie als Actionspezialist bekannt, doch mit seinem Beitrag zur Anthologie „S-VHS“ hatte er schon eine Horror-Affinität erkennen lassen, die er mit der Netflix-Produktion „Apostle“ in Spielfilmlänge ausleben konnte.

Tatsächlich erinnert der Einstieg von „Apostle“ ein wenig an „The Raid“, ist ähnlich zackig und reduziert. Wieder beginnt es mit dem Protagonisten in einem Verkehrsmittel: Bei „The Raid“ war es der Polizist im Mannschaftswagen, hier ist der vom Glauben abgefallene Missionar Thomas Richardson (Dan Stevens) in einem Zug. Bei „The Raid“ brachte das Einsatzbriefing die Lage und die Mission auf den Punkt, hier sind es ein Brief von Thomas‘ Schwester Jennifer (Elen Rhys) und eine Rückblende, die schnell die Situation erklären: Jennifer wurde von einem religiösen Kult entführt, der auf einer Insel haust, der entsprechenden Lösegeldforderung liegt ein Ticket für die Überfahrt dorthin bei, Thomas soll sie befreien, weil er der Einzige aus der Familie ist, der es kann. In beiden Filmen steigt Evans extrem zackig und aufs Wesentliche runtergebrochen ins Geschehen ein, doch wo „The Raid“ dieses Tempo durchzieht, da geht „Apostle“ nach dem Auftakt wesentlich elegischere Wege.

Dass Thomas ein bauernschlauer Überlebenskämpfer ist, merkt man schon bei der Überfahrt, als er sein Ticket mit dem eines anderen Passagiers tauscht. Die religiösen Übereiferer beginnen schon am Pier mit der Überwachung, fürchten sie doch Agenten der offiziellen Kirche, der ihr Kult ein Dorn im Auge ist, den es auszumerzen gilt. Die Vorschriften sind rigide und werden mit eiserner Hand durchgesetzt, das merkt Thomas schon bei der Überfahrt zu dem Eiland, wo Sektenführer Malcolme Howe (Michael Sheen) das Sagen hat, unterstützt von seinen engsten Vertrauten Frank (Paul Higgins) und Quinn (Mark Lewis Jones). Es ist eine düstere, unfrohe Stimmung, die man aus Thomas‘ Perspektive erlebt, so sehr sich seine Mitpassagiere sich anscheinend auf das Leben in der neuen Gemeinschaft freuen.

Thomas‘ Vorsicht zahlt sich aus, denn der Mann, dem er sein Ticket untergejubelt hat, muss schnell sein Leben lassen. Malcolm und seine Leute bemerken den Betrug und suchen nach dem Lösegeldüberbringer, dessen Aussehen sie nicht kennen. Derweil taucht Thomas in der Gemeinschaft unter und sucht nach Jennifer…

Schaut euch den Trailer zu „Apostle“ an

Die religiösen Eiferer auf der Insel und der verdeckte Ermittler in ihren Reihen – das lässt Erinnerungen an „The Wicker Man“ aufkommen. Tonal könnten Robin Hardys Seventies-Kultklassiker und Evans‘ Werk allerdings kaum weiter auseinander liegen. „The Wicker Man“ hatte trotz Horrorverortung einen eher leichten, manchmal ironischen Touch, „Apostle“ dagegen meint es bitterernst (ohne dabei in die unfreiwillige Komik des „Wicker Man“-Remakes mit Nicolas Cage abzurutschen). Die Welt in „Apostle“ ist dreckig und düster, bei den Anhängern Malcolms ist man sich nicht sicher, inwieweit sie wahre Gläubige oder Gefangene sind, die nicht mehr wegkönnen.

Früh wird auf Übersinnliches auf der Insel verwiesen, doch auch die hier angesiedelte Naturgottheit ist kein Blumenkind, wie man in späteren Szenen nur allzu deutlich sieht. Die Gewaltszenen sind roh und blutig, zwar dosiert eingesetzt, aber wenn dann ein ordentlicher Schlag in die Magengrube. Vom Zerschreddern eines Leichnams über das brutale Erstechen von Kontrahenten bis zur Hinrichtung durch ein mittelalterliches Folterinstrument reicht die Palette, mit handgemachten Effekten, aber ohne Exploitation-Charakter. Die Gewalt ist nicht schön anzusehen und soll es auch nicht sein, grausam ist nicht nur das, was man explizit sieht, sondern auch wem es mit welcher Kälte und Konsequenz angetan wird – auch kleine Tiere oder nette Menschen sind hier nicht sicher.

Die entsprechend erzeugte Atmosphäre gehört zu den Stärken von „Apostle“, ebenso die Beschreibung der Gemeinde, die nach und nach immer mehr Facetten enthüllt. Einerseits sind die Sektierer selbst Verfolgte, andrerseits drakonisch in ihren Maßnahmen – und an weltlichen Einnahmen durch Schutzgeld schwer interessiert, um ihre Enklave zu erhalten. Das Ausmaß der Hingabe vieler Gemeinde-Mitglieder zur Lehre bleibt im Dunkeln, bei den Figuren, die beleuchtet werden, gibt es Abstufungen. Vom Fanatiker mit mörderischer Umsetzung der eigenen Ideale bis hin zum Zweifler, der eigentlich nur weg möchte.

Nicht jede Figur ist am Anfang klar umrissen, es gibt sogar eine Überraschung, die allerdings dramaturgisch nicht ganz sauber ist, da sie den Hauptbösewicht quasi auswechselt. In dieser Gemeinde zwischen Glaube und Selbstbereicherung ist die Liebe zwischen Franks Sohn Jeremy (Bill Milner) und Quinns Tochter Ffion (Kristine Froseth) Quell für Freude und Unbehagen zugleich. Freude, weil sie tatsächlich etwas Reines, Aufrichtiges und Ehrliches in dem Kosmos aus Niedertracht, Fanatismus und Lügen ist. Unbehagen, weil man nicht weiß, ob die heimliche Liebschaft unter einem guten Stern steht und was passieren könnte, wenn die Falschen davon erfahren.

An inszenatorischen Details sieht man derweil den Macher von „The Raid“ auch in „Apostle“ durchscheinen, etwa in der dynamischen Arbeit von Evans-Stammkameramann Matt Flannery („Fight or Flight“) mit der Angewohnheit einzelnen Figuren in langen Einstellungen zu folgen und auch mal ungewöhnliche Fahrten oder Blickwinkel einzunehmen. Bei den Handgreiflichkeiten und Messerstechereien ist ebenfalls eine „The Raid“-Ästhetik in der rohen Choreographie zu erkennen, ohne dass „Apostle“ dadurch jemals zum Actionfilm werden würde. Ebenfalls an frühere Werk Evans‘ erinnert die Konsequenz, mit der er auch „Apostle“ durchzieht, bis zum Ende, das leicht mit den Erwartungen bricht, mit seinen letzten Einstellungen dann nochmal ein neues Fass aufmacht, das nicht unnötig, aber auch nicht zwingend nötig gewesen wäre.

Ansonsten ist „Apostle“ konsequenter, langsam erzählter Folk-Horror, dessen rund 130 Minuten Laufzeit sich bisweilen etwas dehnen. Wie ein Amateurdetektiv findet Thomas immer mehr über die Insel und den Kult hinaus, begibt sich immer tiefer in das Herz des Finsternis, aber so viel gibt es am Ende des Tages nicht herauszufinden. Die Schwester wird schon früh als Lockmittel für den Helden auf dem Marktplatz angekettet, sodass ihr Verbleib schnell klar ist, die Hintergrundgeschichte des Protagonisten bleibt eher banal, das Mysterium der Insel ist nicht sonderlich komplex.

Etwas komplexer sind dagegen die Figurenverhältnisse, etwa wenn ausgerechnet Malcolms Tochter Andrea (Lucy Boynton) Interesse an Thomas zeigt und im Gegensatz zu ihrem Vater eine herzensgute Person ist. Mancher Subplot, den Evans anreißt, egal ob es um den Mystik-Part oder das Figurengeflecht geht, bleibt etwas in der Luft hängen – noch so ein Anzeichen, dass Evans wohl mehr um Atmosphäre als um Inhalt geht, obwohl er auch für das Script verantwortlich zeichnet.

Mit „The Guest“-Star Dan Stevens hat Evans dann einen prägnanten Hauptdarsteller zur Verfügung, dem man sowohl Schläue und Tatkraft als auch seelische Versehrtheit gleichermaßen abnimmt. Michael Sheen („Slaughterhouse Rulez“) ist dann ein angemessen charismatischer Gegenpol, dem man abkauft, dass sich Menschen ihm unterwerfen, ein Verführer mit Überzeugungskraft und harter Hand. In den wichtigsten Nebenrollen setzen Lucy Boynton („Die Tochter des Teufels“), Paul Higgins („Kabinett außer Kontrolle“), Mark Lewis Jones („Gangs of London“), Bill Milner („X-Men – Erste Entscheidung“) und Kristine Froseth („The Assistant“) Akzente, der Rest vom Fest ist eher unscheinbar. Die Naturgottheit und ihr Handlanger, der Grinder, fallen dagegen durch einprägsames Design und gutes Make-Up auf, weniger durch die Darstellerleistungen der Personen dahinter.

Als düster-dreckiger Alternativentwurf zu „The Wicker Man“ kann „Apostle“ sicher bestehen, ist er doch stilsicher und atmosphärisch von Evans inszeniert wurden, mit handgemachten Tricks, gut geschriebenen Figuren und einigen Härten. Der Plot ist eher simpel, das Tempo gemächlich und die Laufzeit vielleicht etwas zu viel für das Erzählte, aber insgesamt ist „Apostle“ stimmiger Folk-Horror über Fanatismus und Misstrauen – aber trotz einiger inszenatorischer Parallelen eben etwas Anderes als die „The Raid“-Filme von Evans.

Als Netflix-Eigenproduktion ist „Apostle“ bisher nur dort zu sehen und wurde bisher nicht von der FSK geprüft. Der Streamingdienst empfiehlt ihn ab 18 Jahren.

© Nils Bothmann (McClane)

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