Originaltitel: Fight or Flight__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2024__Regie: James Madigan__Darsteller: Josh Hartnett, Katee Sackhoff, Charithra Chandran, Marko Zaror, Julian Kostov, Sanjeev Kohli, JuJu Chan Szeto, Nóra Trokán, Sarah Lam, Ágota Dunai, Willem van der Vegt u.a. |

Josh Hartnett gibt den schluffigen Helden in „Fight or Flight“.
Walzermusik. Ein Flugzeug fliegt vor knallig blauem Himmel über den Screen. Mit Blick auf die Wolken fährt die Kamera in das Flugzeug und passiert einen schlafenden Passagier. Der fährt plötzlich hoch, aufgeweckt von Geschrei und herumfliegenden Menschenkörpern. Die Kamera präsentiert uns den Passagierbereich, in dem die Fluggäste aufeinander einprügeln, sich gegenseitig abstechen und herumballern. Eine Flugbegleiterin kommt angerannt und schmeißt eine Kettensäge in den Raum. Da zerschmettert ein Schuss ein Fenster des Flugzeuges. Sofort wird ein gewaltiges Loch in den Rumpf gerissen und die Kamera filmt wieder den knallig blauen Himmel.
„Fight or Flight“ beginnt hübsch chaotisch. Hernach springt der Film zwölf Stunden zum Anfang der Geschichte. In Bangkok ließ ein Hacker namens Ghost eine gewaltige Fabrik in Rauch aufgehen. Bei den Besitzern der Fabrik schrillen sofort alle Alarmglocken. Sie wollen den Hacker unbedingt fassen. Blöderweise ist bei der Fabrikexplosion auch das thailändische Team der in den USA situierten Besitzer getötet worden.
Also aktiviert Katherine Brunt, die Sicherheitschefin des Unternehmens, einen Kontakt aus ehemaligen Secret-Service-Zeiten. Der heißt Lucas Reyes, lebt aufgrund seiner unrühmlichen Vergangenheit im thailändischen Exil und gibt sich hier dem Alkohol hin. Zwar hat er keinen Bock, wieder mit Brunt zu arbeiten, doch die verspricht, ihm eine weiße Weste zu verpassen, wenn er Ghost gesund und munter bei ihr abliefere.
Die Aussicht, wieder in den USA leben und arbeiten zu dürfen, überzeugt Lucas. Er besteigt das Flugzeug in Richtung San Francisco, in dem auch Ghost sitzen soll. Doch keiner hat den Hacker jemals gesehen, was den Auftrag nicht eben einfacher macht. Blöderweise tauchte im Dark Web zudem ein Hinweis auf den aktuellen Standort von Ghost auf. Und der Hacker hat viele Feinde. Die entsenden ihre besten Killer, um Ghost auszuschalten. Und alle strömen sie in das Flugzeug gen San Francisco.
„Bullet Train“ im Flugzeug
Die Storyprämisse von „Fight or Flight“ erinnert stark an David Leitchs „Bullet Train“. Nicht nur wegen dem Vehikel voller Killer, sondern auch wegen der schluffigen Anlage der Hauptfigur. Wie weiland Brad Pitt ist Josh Hartnett („Cash Truck“) als Lucas eher ein Betrachter seines eigenen Lebens als ein aktiver Teil davon. Immer leicht verpeilt wirkend gerät er in die haarsträubendsten und gefährlichsten Situationen, kann sich aber immer wieder aus der Bredouille retten. Davor und danach darf eine gewisse Menge Alkohol dafür sorgen, dass er sich über das soeben Geschehene nicht zu viele Gedanken macht.
Und dieser Figur folgt man gerne durch den Film. Lucas macht Spaß und er ist immer extrem sympathisch. Rund um ihn steigert „Fight or Flight“ das „Bullet Train“-Szenario teils ins Groteske. Denn prinzipiell kann hier wirklich jeder Passagier ein Killer sein und gefühlt ist es tatsächlich auch über die Hälfte. Dazu gesellen sich interessante Entwicklungen, in deren Verlauf etwa Ghost früh enttarnt wird und sehr aktiv an dem mörderischen Treiben teilnehmen darf.
Doch auch rund um Lucas werden interessante Storyclous gezündet, die sowohl seinen Charakter vertiefen als auch immer wieder andeuten, dass Lucas‘ Auftraggeber, um deren wahre Ansinnen und Identität „Fight or Flight“ ein wesentlich größeres Geheimnis macht als um jene von Ghost, gewaltig Dreck am Stecken haben könnten. So ist eine angenehme Grundspannung immer spürbar. Während der Film selbst immer mehr abdreht.
Vor allem wird die gezündete Action immer derber. Wo zu Beginn Schädel „nur“ in hervorstehende Lampen gerammt werden, landen alsbald zerbrochene Flaschen und Gläser in Körperteilen, wo sie garantiert nicht hingehören. Das Blut spritzt, die Wunden sind schön eklig anzuschauen und Josh Hartnett haut erstaunlich versiert und effektiv um sich. Dabei kassiert er selbst heftige Treffer und Verwundungen und darf ebenfalls munter vor sich hin bluten.
Wo zu Beginn eher kleine Mano-mano-Duelle dominieren, werden die Fights zunehmend exzessiver. Sobald sich Lucas ab der Filmmitte mit einem Killer keilt, kommen zahlreiche weitere hinzu. Dabei nehmen die Nicklichkeiten und der Aderlass immer mehr zu. Der Bodycount schnellt in die Höhe und irgendwann kommt dann auch die bereits erwähne Kettensäge sehr splattrig zum Einsatz.
Langfilm-Regie-Debütant James Madigan (bislang eher als Special-Effects-Experte bekannt: „Iron Man 2“ oder „RED“) und sein Stunt-Koordinator Alain Moussi („Kickboxer: Vengeance“) hatten mit ihrem Stuntteam aus Ungarn, wo „Fight or Flight“ gedreht wurde, sichtlichen Spaß an der Ausgestaltung der Action. Und mit Thunder Road war ein Studio an dem Film beteiligt, das seine Macher beim Abliefern feuchter Actionträume (siehe „John Wick“ oder „Monkey Man“) versiert unterstützt.
In technischer Hinsicht bleibt festzuhalten, dass „Fight or Flight“ seinen Schauplatz des Flugzeuges nur selten verlässt. Dieses wird entsprechend ausgiebig bespielt: Von der Pilotenkanzel über alle möglichen Flugzeugkabinen bis zum Frachtraum oder Klo prügeln sich die Charaktere überall mindestens einmal ausführlich. Das Setting überzeugt und die einzelnen Schauplätze wirken allesamt glaubwürdig. Zudem wird der beengte Schauplatz angenehm dynamisch bebildert.
Und das nicht nur in der Action. Diese bietet immer genug Überblick über das Geschehen und flüchtet sich nicht in Kameragewackel oder schnelle Schnitte. Eher im Gegenteil. Die Macher lassen ihre Action atmen. Mit der „Krötengiftszene“ lassen sie ihren Film allerdings auch mal komplett in die Absurdität abdriften. Der Film, der durchweg einen ziemlich angenehmen Humor atmet, darf hier mal ganz offenherzig herumkaspern. Was die Macher über optisch krasse Farbspielereien und Verzerrungseffekte transportieren. Auch wenn man es mit der Szene irgendwann ein wenig übertreibt, passt sie herrlich zum insgesamt grotesken Grundton des Streifens.
Darstellerisch ist „Fight or Flight“ die große Josh-Hartnett-Show. Der Mime hat hier mit blonder Kurzhaarfrisur und wirrem Bartwuchs einen coolen Look, darf dies aber vor allem über seine Outfits immer wieder fein konterkarieren. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sein Lucas die ganze zweite Filmhälfte in einer Art Nobel-Schlafanzug bestreitet und trotzdem nichts von seiner Coolness und Lässigkeit verliert. Hartnett hat sichtlichen Spaß an seiner Rolle und war offensichtlich ein gelehriger Schüler, als es um die Martial-Arts-Action ging. Denn hier liefert er durchaus ab und erinnert in seiner manchmal etwas steiferen Art und aufgrund seiner Größe immer mal wieder an Keanu Reeves.
Apropos Reeves: Der musste in „John Wick 4“ mehrfach gegen Marko Zaror („Savage Dog“) ran. Gegen den Chilenen darf nun auch Josh Hartnett kicken. Zaror gibt dabei den bunten Pfau, der mit exaltierter Mimik durch die Szenerie schreitet, in der Action aber gewohnt hart und wuchtig austeilt. Man hätte sich für Zaror eine größere Rolle gewünscht. Auch und vor allem, weil der insgesamt große Bösewichtpool des Streifens insofern schwierig ist, dass es eben keine wirkliche Charakterfresse als großen Endgegner für Hartnett gibt. So kommt es schonmal vor, dass durch die Inszenierung als vermeintlich wichtig charakterisierte Fieswichte direkt nach dieser Szene nie wieder auftauchen.
Ansonsten flankieren spielfreudige Nebendarsteller Josh Hartnett in „Fight or Flight“. Allen voran Charithra Chandran („Bridgerton“) als Flugbegleiterin Isha, die mit Hartnett eine tolle Chemie hat. Als zwielichtige Brunt ist zudem Katee Sackhoff („The Last Sentinel“) zu sehen.
„Fight or Flight“ im Bordprogramm würde jeden Flug unterhaltsamer gestalten
Auf dem Höhepunkt des Streifens kämpfen hier chinesische Kung-Fu-Fighterinnen in traditionellen Gewändern gegen fiese Killer aus Italien. Unser unter dem Einfluss von Drogen stehender Held sieht die Fighterinnen elegant vor Licht- und Atomexplosionen durch die Luft schweben. Kurz darauf spritzt aus dem Schädel seines Gegners eine Fontäne aus Sternen und grellem Licht. Zeigt die Kamera dann die Realität, erwürgen die Fighterinnen brutal die fiesen Killer und spritzt aus Lucas Gegenüber eine gewaltige Blutfontäne, die das halbe Flugzeug einsaut, weil Lucas dem Lump einen Eispickel in den Schädel gerammt hat. Genauso funktioniert „Fight or Flight“.
Der Film ist eine große Actiongroteske, die sich selbst keinen Deut ernst nimmt. Und die mit Lust an der Absurditäten-Schraube dreht, bis der storytechnisch ähnliche „Bullet Train“ nur noch aus der Ferne hupt. Das ist toll gespielt, actiontechnisch sauber in Szene gesetzt, wird in einem überzeugenden Mix aus CGI- und Handmade-Bluteffekten gereicht und gibt optisch keinerlei Gründe zur Beanstandung. Das Tempo ist hoch, die Story funktioniert und das Ergebnis ist einfach enorm unterhaltsam. Geteaste Fortsetzungen dürften gerne einen coolen Endbösewicht auffahren, etwas schneller zum Punkt kommen und dann noch mehr von dem geilen Scheiß präsentieren.
Der Film wurde im Dezember 2024 äußerst überraschend und erstaunlich unauffällig von LEONINE in die VoD-Plattformen gespült. Hier findet ihr den Film uncut mit einer wohlverdienten Freigabe ab 18. Über eine physische Veröffentlichung ist mir bislang nichts bekannt.
In diesem Sinne:
freeman
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