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The Long Walk – Todesmarsch

Originaltitel: The Long Walk__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2025__Regie: Francis Lawrence__Sprecher: Cooper Hoffman, David Jonsson, Garrett Wareing, Tut Nyuot, Charlie Plummer, Ben Wang, Jordan Gonzalez, Joshua Odjick, Mark Hamill, Roman Griffin Davis, Judy Greer, Josh Hamilton, Noah de Mel, Daymon Wrightly, Jack Giffin, Thamela Mpumlwana, Keenan Lehmann u.a.
Cover

Das Kinoplakat von „The Long Walk – Todesmarsch“.

Das unverfilmbarste aller Stephen-King-Werke?

Das Stigma des Unverfilmbaren wirkte im Fall von Stephen Kings (beziehungsweise Richard Bachmans) Frühwerk „Todesmarsch“ immer ein wenig befremdlich. Üblicherweise greift dieses Narrativ nämlich dann, wenn die Handlung oder die narrative Struktur des Romans als zu komplex, zu nicht-linear, zu ausholend betrachtet wird. Dabei haben Regisseure wie Stanley Kubrick oder Peter Jackson auch solche Extremfälle schon widerlegt, indem sie Unvorstellbares aus ihrem Medium kitzelten und vermeintlich nicht verfilmbare Bücher in filmische Meisterwerke übersetzten.

„Todesmarsch“ hingegen ist sowieso schon die Materialisierung reiner gedruckter Linearität. Meile um Meile setzen sich die Ereignisse wie die Schwellen einer Eisenbahnschiene zusammen, analog zu den Kapiteln, den Seiten, Sätzen und Buchstaben auf dem Papier. Bis irgendwann die Erschöpfung der Figuren, gleichbedeutend mit der Erschöpfung des Autoren, die Ziellinie markiert. Das ist im Aufbau soweit durchaus kompatibel mit dem filmischen Medium, das ebenso linear Szene an Szene knüpfen kann, Meilen mit Minuten aufrechnet, sich immerzu geradeaus bewegt, hin zum unvermeidlichen Abspann.

Im technischen Sinne war die Unverfilmbarkeit von „Todesmarsch“ über all die Jahrzehnte hinweg womöglich nichts als Illusion, eine faule Ausrede für das chronische Versagen einer Filmindustrie, den Stoff zu adaptieren. Jetzt, da der Titel „The Long Walk – Todesmarsch“ tatsächlich die Leinwand erobert, fast fünfzig Jahre nach dem Druck des ersten Buchdeckels, kann man sich selbst ein Bild machen… um sich zu fragen, ob womöglich doch etwas dran ist am Mythos des Unverfilmbaren.

Dystopisches World Building aus einer neuen Perspektive

Francis Lawrence ist durchaus vertraut mit dystopischen Stoffen um totalitäre Regimes, drehte er doch die Fortsetzungen zur kommerziell wohl erfolgreichsten Adaption eines solchen Stoffs in den vergangenen Jahren, den „Hunger Games“. An seinem neuen Projekt dürfte ihn nun vor allem gereizt haben, dass die Perspektive eine völlig entgegengesetzte ist. Anstelle gefüllter Arenen, lauter Fanfaren und bunter Kostüme gibt es nichts als den Blick nach vorne auf die Straße. Die aus den Fugen geratene Gesellschaftsordnung wird in Kings Zukunftsvision lediglich von einzelnen Voyeuren am Wegesrand repräsentiert, aus deren Verhalten und Erscheinung sich ablesen lässt, was abseits des direkten Geltungsrahmens vor sich geht. Alles weitere ergibt sich aus den Andeutungen, aus der Schlussfolgerung der gegenwärtigen Situation.

Dem versucht Lawrence nun mit aller Macht zu entsprechen. Die Monotonie des Asphalts breitet sich von der Startlinie wie ein grauer Star aus, Einblendungen der gelaufenen Meilen strukturieren den antiklimaktisch ins Nichts verlaufenden Marsch mit geradezu militanter Präzision, zu deren Takt Mark Hamill („Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers“), versteckt unter Tarnkleidung und Sonnenbrille und im Grunde nichts als ein Roboter, Parolen anschlägt. Schön anzusehen ist das nicht.

Auf der Suche nach der Wahrhaftigkeit des Grauens

Es entsteht schnell eine monotone Rhythmik, die selbst den plötzlichen Schock der konkreten Lebensgefahr, die angesichts des spielerischen Wettbewerbscharakters der Situation zuvor lange abstrakt bleibt, verschluckt. Wie betäubt hört man hin, während Hammill erstmals die letzte der drei Verwarnungen ausspricht, bevor eine Kugel rechts in den Kopf des unglückseligen ersten Teilnehmers eintritt und links einen Krater aus Blutklumpen und Knochensplittern hinterlässt.

The Long Walk Todesmarsch Szenenbild

Sie laufen…

Man zwingt sich in Gedanken, weniger teilnahmslos auf diesen Moment der Wahrheit zu blicken, der alleine aufgrund des weniger gezeigten als vielmehr suggerierten Kontexts erschüttern müsste. Doch Lawrence bietet wenig an, um Empathie gedeihen zu lassen, abgesehen von der schieren Faktenlage bestehend aus einem sadistischen Regelwerk, das aber weniger auf seinem, sondern vielmehr auf Kings Mist gewachsen ist. Dass er grafische Details und Close-Ups später mit Offscreen- und Distant-Shots kombiniert, trägt wenig zur Schockwirkung bei; es wirkt wie das willkürliche Spiel eines Autofahrers mit dem Fern- und Abblendlicht auf einer einsamen Landstraße. Spannungskatalysatoren durch äußere Bedingungen, wie Streckenabschnitte mit Steigungen oder einsetzender Regen, werden beiläufig durch das Nadelöhr der Handlung geschleust. Wenig künstlerische Absicht ist in der Gewichtung der Stilmittel zu erkennen; entsprechend wenig Kontrolle hat der Regisseur über die Wahrnehmung des Betrachters.

Soziale Verbindungen nach King-Art

Während ein Romanautor natürlich den Vorteil hat, durch innere Monologe tiefer in die Gedanken des Protagonisten eintauchen zu können, bietet die Vorlage im Fall von „Todesmarsch“ – gemessen am Thema – immerhin auch einen recht hohen Dialoganteil, ein Umstand, den Lawrence unter dem Vorwand der Vorlagentreue sogleich dankend annimmt. Mit der Ankunft der Hauptfigur am Treffpunkt wird dann auch sogleich großzügig der soziale Kleber aufgetragen, an dem man King-Adaptionen unabhängig vom ausführenden Regisseur immer zuverlässig erkennt. Es dauert nur wenige Sekunden, da ist das emotionale Zentrum des Films dank der Magie des Smalltalks bereits etabliert: Über Cooper Hoffman („Old Guy – Alter Hund mit neuen Tricks“) und David Jonsson („Alien: Romulus“) wird der Weg also führen müssen, denn sie sind die ersten, die ein freundschaftliches Band knüpfen, indem sie lockere Worte miteinander wechseln.

The Long Walk Todesmarsch Szenenbild

und laufen…

Der Rest der Truppe versammelt sich um dieses Zentrum wie der anonyme Staub um einen verglühenden Kometen, während der Kern mit jeder zurückgelegten Meile kleiner wird. Die meisten Nebenfiguren sind kaum mehr als Ballast an einem Ballon, der abgeworfen werden muss, um die Höhe zu halten. Isolation bedeutet oftmals den Tod in diesem Mikrokosmos, also wird unentwegt geredet. Der finale Schnitt suggeriert, dass das Sprechen keinerlei Kraftaufwand bedeutet, denn Momente absoluter Stille, in denen nichts als das Rattern begleitender Panzerketten zu hören ist, finden praktisch nicht statt. Der Ansatz des Films liegt darin, sämtliche Subtexte über Dialoge einzubringen oder in ein, zwei Rückblenden aufzuarbeiten, anstatt auch mal im Namen des Realismus den wortlosen Blick in die Runde zu werfen und die Gesichter der Jungdarsteller, unter denen sich durchaus Talent verbirgt, für sich sprechen zu lassen.

Krieg und Überleben

Nun bleibt „The Long Walk – Todesmarsch“ nicht völlig ohne eindringliche Bilder. Ein Ground-Level-Shot vom Bein eines Teilnehmers etwa, das nicht länger auf dem Fuß auftritt, sondern auf dem verdrehten Knöchel, ist ein aus dem Zombie-Genre übernommenes Bild, das hier effektiv die Alternativlosigkeit der heranwachsenden Generation symbolisiert, die nichts weiter tun kann als den vorgegebenen Weg zu beschreiten und immer weiter zu machen. Jeder Versuch, von der Linie abzuweichen, endet in einer Sackgasse, was der Film vereinzelt durch das eigenmächtige Handeln Einzelner demonstriert. Hier zahlt sich nun doch aus, dass die Regie nicht zu viel Zeit darauf verwendet, in die Köpfe der Nebenfiguren zu schauen, denn der Überraschungseffekt in diesen Augenblicken erinnert schmerzhaft an die Verzweiflung des Affekts in jener Sorte Kriegsfilm, in der Schlachtfeld und Überlebensstrategien im Fokus stehen anstatt der Psychologie der einzelnen Soldaten.

Mark Hamill in der Stphen King Verfilmung

und Mark Hamill freuts.

Wo King den Vietnamkrieg verarbeitete, da findet jede neue Generation ihre eigenen Kriege, so viel ist auch gerade aus heutiger Perspektive sicher. Dieser Umstand lässt die Vorlage zeitlos und den Versuch einer Verfilmung so viele Jahrzehnte später immer noch legitim geraten. Dementsprechend drehen sich auch die Dialoge um Sachverhalte, die im Ausnahmezustand des Krieges von Relevanz sind: Erbe, Vergeltung und nicht zuletzt das Zentrum jeden King’schen Schaffens, die Freundschaft, deren Bedeutung hier bewusst in Relation zur Zeit gesetzt und philosophisch erörtert wird; so philosophisch, wie es eben unter Heranwachsenden einer Dystopie nach Aberdutzenden Meilen Fußweg werden kann. Lawrence darf hier auf seine Darsteller bauen, die diese universellen Themen authentisch zu transportieren wissen, auch wenn gerade zum Ende hin trotzdem haarscharf am Kitsch vorbeigeschrammt wird.

„The Long Walk – Todesmarsch“ ist noch nicht die ultimative Verfilmung

Trotz dieser hellen Momente bleibt „The Long Walk – Todesmarsch“ eine Art Märchen, gedämpft wie mit den Weichfiltern eines irrealen Traums, ohne die absolute existenzielle Wahrheit eines echten Kriegsfilms. Es gibt Momente, in denen man aufwacht und kurz den realen Horror des Daseins vermittelt bekommt. Leider bleibt es bei den Momenten. Francis Lawrence gelingt es nie völlig, das potenzielle Grauen eines langen Weges ohne Ziellinie für seine Ziele zu nutzen, das Grauen einer perspektivlosen Welt nicht nur zu zeigen, sondern fühlbar zu machen. Das ist nicht unbedingt die Schuld des Mediums Film; andere Filme haben bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie man mit ähnlich minimalistischen Szenarien eine wesentlich größere Wirkung erzielen kann. Die Verfilmbarkeit / Unverfilmbarkeit von Stephen Kings vielleicht grimmigstem Roman bleibt somit weiter unbewiesen.

5 von 10

Informationen zur Veröffentlichung von „The Long Walk – Todesmarsch“

„The Long Walk – Todesmarsch“ läuft seit dem 11. September 2025 in den deutschen Kinos. Eine Heimkinoauswertung über LEONINE ist noch für Ende diesen Jahres geplant: Ab 25.12. liegen DVD, Blu-ray und Ultra-HD-Blu-ray unter dem Weihnachtsbaum.

Sascha Ganser (Vince)

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Copyright aller Filmbilder und Screenshots/Label: Leonine / Lionsgate__FSK Freigabe: FSK 16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein / Nein (ab Dezember 2025)

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