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Perdita Durango

Originaltitel: Perdita Durango__Herstellungsland: USA / Mexiko / Spanien__Erscheinungsjahr: 1997__Regie: Álex de la Iglesia__Darsteller: Rosie Perez, Javier Bardem, Harley Cross, Aimee Graham, James Gandolfini, Screamin‘ Jay Hawkins, Demián Bichir, Carlos Bardem, Santiago Segura, Harry Porter, Carlos Arau,, Don Stroud, Alex Cox, Miguel Galván, Regina Orozco, Roger Cudney, Erika Carlsson u.a.

Perdita Durango Banner

Perdita Durango

Das Cover des UHD-Mediabooks von „Perdita Durango“.

Das Jahr 1997, so möchte man meinen, stammt nicht einfach aus einem anderen Jahrtausend, sondern gefühlt aus einer völlig anderen Weltordnung. Um heute dorthin zurückzugelangen, muss man durch eine Nitrofilm-Membran aus übersättigten Farben und steilen Kontrasten tauchen, wie es sie inzwischen nur noch in konservierter Form gibt. Zugegeben, was die filmische Darstellung des amerikanisch-mexikanischen Grenzlands angeht, war es schon immer von einem satten Gelb durchtränkt. Ist es als unauslöschliches Klischee heute immer noch. Nie jedoch waren die Gelbtöne satter als in den 90er Jahren. Und im Rahmen dieser Epoche auch selten fiebriger als bei Álex de la Iglesia.

Das Filmjahrzehnt, auf dessen Gipfel „Perdita Durango“ entstand, war auch dasjenige der Tarantinos und Lynchs, der Finchers und Coens. Die schillernden Subkulturen von Kriminellen, Freigeistern und Anarchisten lehrten das Publikum damals ihre eigenen Wertesysteme, welche zwar vom herrschenden Zeitgeist abgeleitet waren, aber mit einem völlig anderen Mindset geschaffen wurden als die geltenden, um Stabilität bemühten Normen der Moderne. Tarantino etwa wandte mit „Reservoir Dogs“ (1992) und „Pulp Fiction“ (1994) die Profanität des Alltags auf die Welt des Gangstertums an, um damit ein neues Kinozeitalter der Postmoderne anbrechen zu lassen.

Zwischendurch knüpfte er mit den Drehbüchern zu Tony Scotts „True Romance“ (1993) und Oliver Stones „Natural Born Killers“ (1994) mehr oder weniger offensichtlich an Arthur Penns „Bonnie & Clyde“ (1967) an, der seinerseits als wichtiger Wendepunkt Richtung „American New Cinema“ in die Filmgeschichte eingegangen war. Auf ähnlichen Pfaden war David Lynch schon 1990 mit der Verfilmung von Barry Giffords Roman „Wild at Heart“ unterwegs, nur dass die Zivilisationsabkehr der Protagonisten Sailor und Lula darin betont märchenhafte bis surreale Züge trug und somit als eine Form von Eskapismus verstanden werden konnte. In den Title Credits ebendieses Films erschien übrigens an achter Stelle Isabella Rossellini. Der ihr zugewiesene Rollenname klingt nur allzu vertraut: Perdita Durango.

Perdita Durango

Wrestlingmasken sind unter Kriminellen der Renner. Wenn El Santo das wüsste…

Sieben Jahre später drängt die heißblütige Figur aus dem Fundus von Barry Gifford nun selbst in den Mittelpunkt, diesmal verkörpert von der mit puerto-ricanischen Wurzeln ausgestatteten US-Darstellerin Rosie Perez („Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn“). Ergänzt um ihren Co-Star Javier Bardem („Dune“) in der Rolle des psychotischen Santero-Priesters Romeo, drängt das Duo ungezügelt, ja regelrecht geifernd in die Fußstapfen ihrer Vorläufer Cage/Dern, Harrelson/Lewis und Slater/Arquette, wie um einen ultimativen Schlussakkord zu setzen, der die Blutlinie der postmodernen Psychokillerpärchen-Studien erst einmal beenden sollte.

Themen, Bildsprache, Dialoge, Schauspiel fallen entsprechend extrem aus, wenngleich sie nur selten über die Maßen grafisch geraten. Nichtsdestotrotz, das Gefühl, dass man sich hier auf morbidem Terrain bewegt, ist augenblicklich gegenwärtig. Gleich in der ersten Szene hagelt es in einem Fiebertraum Satin, nacktes Fleisch und das aufgerissene Maul eines Tigers. Im Herzen wild sind offensichtlich nicht nur Sailor und Lula, sondern auch ihre Nachzügler, die weniger die Grenzen des Zeigbaren als vielmehr jene der Vorstellungskraft auszuloten versuchen. Weil das Road Movie immer an den Fersen der Hauptfiguren haften bleibt, die stets auch auf ihr Umfeld abfärben, werden Entführung, Kannibalismus, Mord, illegaler Handel, Leichenschändung, Vergewaltigung und Pädophilie zu Konstanten, die sich nicht nur zu einer neuen Form der Normalität entwickeln, sondern den Verursachern auch als Ausweg aus der Ereignislosigkeit des gewöhnlichen Daseins dienen.

Wie kompromisslos der Regisseur seinen gesamten Fokus auf Perdita und Romeo legt, lässt sich daran ablesen, wie er die Welt um sie herum als eine Projektion ihres geteilten Geistes auslegt. Neutrale Perspektiven gönnt er uns selbst dann nicht, wenn beide Charaktere nicht zugegen sind. Exemplarisch die Szene, in der die späteren Entführungsopfer Duane (Harley Cross) und Estelle (Aimee Graham) eingeführt werden. Fast schon wie die Sitcom-Sequenz aus „Natural Born Killers“ mutet sie an; Teenagerhülsen bis zum Rand gefüllt mit seliger Naivität, Vater und Mutter nurmehr Zerrbilder der privilegierten weißen Schicht, Grimassen ziehend in der Pointe ihrer eigenen abgestandenen Witze. Selbst hier, als sich die Wege mit den Entführern noch nicht gekreuzt haben, ist es der Blick von außen auf eine pervertierte Form des Normalzustands. Es ist beinahe so, als habe die Weltsicht der Protagonisten auch den Geist des Zuschauers vergiftet.

Perdita Durango

Wild at Heart.

Durch diese hochgradig intensive Art der subjektiven Inszenierung baut Álex de la Iglesia gewisse Versprechen auf, einmal einen Blick in das tiefe X zweier sich kreuzender Abgründe werfen zu dürfen; ein Versprechen, das er dank der hypnotisierenden Hauptdarsteller teilweise einzulösen vermag. Zwischen Abnormität und Eleganz, Hässlichkeit und Exotik, Abstoßung und Verehrung der beiden Outlaws wird jegliche Neutralität über Bord geworfen. Perez agiert über weite Strecken wie ein Wesen von einem anderen Planeten, das mit anthropologischen Erkenntnissen nie vollständig zu ergründen ist. Beinahe noch stärker trifft dies sogar auf Javier Bardem zu.

Dass man Romeo nicht neben Perdita im Filmtitel findet, ist eher der Vorlage geschuldet, weniger den tatsächlichen Verhältnissen im Film. Rasend vor Wahnsinn versinkt er vollends hinter der unergründlichen Herkunft des Geistes seiner Rolle und steigert sich insbesondere in den zeremoniellen Momenten in einen rauschhaften Wahn, der immer wieder die Grenzen zur Lächerlichkeit ausspielt, zum Clownshaften, das der Regisseur später in „Mad Circus“ (2010) noch weiter erkunden würde. Romeo und Perdita bilden eine Allianz aus den tiefsten Winkeln der schwarzen Romantik, Religion, Nihilismus und schnödes Tagesgeschäft miteinander vermengend, als wären es Zutaten eines Rührteigs. Als Romeo Perdita an einem Imbissstand kennenlernt, stellt er sich als Sohn einer karibischen Hexe und eines Spaniers und Besitzer einer Ranch in Mexiko vor; schon hier schlägt völlige kulturelle Unberechenbarkeit durch, ein gepanschter Cocktail aus Genen, der sich im saftenden, erotisierenden Lebensstil des Pärchens widerspiegelt.

Dem gegenüber steht die weiße Makellosigkeit von Duane und Estelle, die in der erinnerungswürdigen, weil unter fehlendem öffentlichen Widerstand stattfindenden Entführungssequenz keineswegs so zufällig auserkoren werden, wie suggeriert wird. Während die gesamte ausgewachsene mexikanische Bevölkerung zu dem Zeitpunk längst in einem cremigen Strudel aus Hentai-Pornografie, Fettleibigkeit, Glücksspiel und Siechtum gefangen ist, aus dem es kein Entrinnen gibt, tragen die Teenager eine weiß-amerikanische, blütenreine College-Realität in die Handlung. De la Iglesia legt es gerade auf diese harten Kontraste an, er möchte, dass sie mit möglichst lautem Knall aneinander zerschellen und opfert dafür auch Nuancen, wo nötig.

Perdita Durango

Das nennst du ein Kaliber? HA!

Und doch ist es die durch etliche traumatische Erlebnisse ausgelöste Wesensveränderung der Entführungsopfer, eine Metamorphose anstatt einer Kollision also, die in dieser Phase das Ziel des Films ist. Seine Wirkung verfehlt der Ansatz nicht. Unter all den Ausformungen des Perversen, die im Zuge dieses halluzinogenen Road Trips aufgefahren werden, ist es vielleicht die schleichende Anpassung ihrer Verhaltensweisen an die neue Realität, die wirklich langfristig schockiert. Allerdings wendet der Regisseur unverhältnismäßig viel Kraft auf, um dieses Ziel zu erreichen. Bezahlt wird es mit einem dramaturgischen Loch, das sich bis zum Finale in Las Vegas nicht mehr richtig schließt. „Perdita Durango“ wirkt unter dem Strich desillusionierender, aber auch leerer als seine stilistischen Vorläufer. Es ist so, als verfalle er den nihilistischen Denkmustern seiner Charaktere zu sehr, als fehle ihm zwischenzeitlich der kritische Blick des Betrachters von außen.

Dabei ist mit der von James Gandolfini („Die Entführung der U-Bahn Pelham 1 2 3“) grandios im „L.A. Confidential“- oder „Chinatown“-Stil gespielten Figur Woody Dumas sogar eine solche Meta-Figur im Skript installiert, die wohl einzige im Film, die einigermaßen dazu in der Lage ist, die Ereignisse mit nüchternem Blick zu betrachten; zumindest wäre das so, wenn nicht auch sie mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen hätte. Andererseits ist auch Dumas wiederum kaum etwas anderes als ein filmisches Stereotyp und damit Teil der traumartigen Ausstattung, nicht anders als die Vera-Cruz-Ausschnitte, die letztlich dazu führen, dass Realität, Wahnsinn und Film für immer miteinander verschmelzen.

Perdita Durango

James Gandolfini hatte mal wieder einen harten Tag.

So gesehen ist „Perdita Durango“ womöglich wirklich der Schlussakkord für das febrile Outlaw-Kino der 90er, das anschließend eine schleichende Entwicklung zur Parodie seiner selbst durchmachte. Wo „Wild at Heart“, „True Romance“ und „Natural Born Killers“ einen gewissen Status der Legitimität im Sinne eines Popkults erfahren haben, da ist Álex de la Iglesias Grenzlandballade wohl einfach zu abseitig, um in den Kanon aufgenommen zu werden. Die desillusionierende Leere, die sie hinterlässt, hat die Kritik nachhaltig abgestoßen, und selbst das Publikum zögert, sie gleichberechtigt in eine Reihe mit den Kultfilmen einzuordnen. Was aber definitiv nachhallt, sind die beängstigenden Verkörperungen von Rosie Perez und Javier Bardem.

6 von 10

Informationen zur Veröffentlichung von „Perdita Durango“

Limited Collector’s Edition #77

Gefühlt stand „Perdita Durango“ immer schon ein wenig im Verruf als böses, schmuddeliges Machwerk, als einer der berühmten heißen Titel aus der großen Zeit der Indizierungen. In Wirklichkeit war Álex de la Iglesias international womöglich bekanntester Film nie indiziert; was nicht bedeutet, dass es nicht gekürzte TV-Ausstrahlungen und unterschiedliche Schnittfassungen gegeben hätte, wobei der deutsche Markt diesmal ausnahmsweise relativ ungeschoren davonkam. Fassungen, die um Nacktheit und angedeutete Gewalt erleichtert wurden, des Copyrights wegen aber auch um einige Filmausschnitte des Burt-Lancaster-Westerns „Vera Cruz“, kursierten vor allem in den USA und in Großbritannien.

Auf deutschen Tapes, DVDs und Blu-rays hingegen bekam man den Streifen immer schon in der ursprünglichen, als ungeschnitten geltenden Fassung zu sehen. Die ultimativ längste Fassung, den Director’s Cut, gibt es in Deutschland aber erst seit der Veröffentlichung der Ultra-HD-Blu-ray von Wicked Vision im Oktober 2024 – wobei diese längste Schnittfassung noch nicht einmal ihr Hauptverkaufsargument darstellt. Das liegt nämlich einmal mehr in der qualitativen Umsetzung beziehungsweise der Präsentation.

Die Verpackung

Wobei die Präsentation im Sinne der Umverpackung diesmal ungewöhnlich spartanisch daherkommt. Die gesamte Auflage trägt diesmal das gleiche Cover-Artwork. Ungewöhlich für die Mediabook-Sammelreihe, in der bislang fast alle Filme mit drei Cover-Varianten oder mehr erschienen. Zu sehen ist das Artwork, das man untrennbar mit dem Film verbindet, obwohl die meisten Heimkinoausgaben überraschenderweise eher auf typische Photoshop-Kreationen setzten. Das Mediabook von Wicked Vision hingegen ist wie die dts-Zweitauflagen von e-m-s mit der stilisierten Comic-Perdita in Sticker-Optik mit Sonnenbrille, Lackstiefeln und zwei qualmenden Desert Eagles geschmückt, die auf ihrem eigenen Titelschriftzug sitzt. Während der ebenmäßig schwarze Hintergrund matt ist, ist der komplette Aufdruck mit Spotgloss versehen, was nicht nur Logo und Filmtitel, sondern auch Darsteller- und Regisseurangaben mit einbezieht.

Ein Deckblatt auf der Vorderseite gibt’s diesmal nicht, was wohl daran liegt, dass diesmal eines auf der Rückseite liegt, auf dem wie üblich Inhaltsangabe, Credits, technische Spezifikationen und EAN-Code abgedruckt sind. Dadurch wird Platz geschaffen für einen Backcover-Aufdruck, wiederum mit Spotgloss-Effekt. Zu sehen ist die Silhouette eines Embryos in einem roten Kasten, umringt von Blutspritzern, dazu die Tagline „Für ihn sind Gewalt und Verbrechen ein Geschäft, für sie sind sie ein Vergnügen“. Auch auf dem Spine glänzt der rot-weiße Titel auffällig und macht das minimalistische, aber angenehm homogene Design des Mediabooks komplett. Eine schöne Erinnerung, dass es nicht immer x Covervarianten sein müssen, wenn man dafür eine durchdachte Option bekommt.

Ultra-HD Mediabook

Seit Juli 2024 ist „Perdita Durango“ auf UHD erhältlich.

Da die Auflage mit 1.333 Stück etwas höher ausfällt als üblich, vertraut man wohl auf die Zugkraft des durchaus namhaften Titels. Vor einigen Jahren veröffentlichte Wicked Vision übrigens mit „Ein ferpektes Verbechen“ schon mal einen Film des Regisseurs. Der verkaufte sich zwar zunächst anscheinend eher schleppend, wurde zwischenzeitlich aber sogar noch einmal als Steelbook neu aufgelegt und ist heute zumeist noch noch als Second-Hand-Ware zu beziehen. Trotz der vielen bereits existierenden Auflagen erhofft man sich, genug qualitative Argumente vorlegen zu können, um den Abverkauf erfolgreich zu machen.

Das Booklet

Argumente und vor allem Fakten, die feuert auch Christoph N. Kellerbach in seinem 32-Seiten-Booklet wieder aus allen Rohren. Autor Barry Gifford und Regisseur Álex de la Iglesia widmet er alleine bereits jeweils vier Seiten und taucht dabei bereits in den künstlerischen Ausdruck der beiden Kreativen ein, nicht ohne ihren jeweiligen Werdegang zum besseren Verständnis des vorliegenden Werks nachzuzeichnen. Die Vertiefung dieser Ansätze verfolgt der Autor dann in den folgenden Kapiteln, in denen er die Produktionsbedingungen der 90er Jahre umreißt und den Weg der Adaption vom Buch zum Film nachzeichnet, wobei er auch stilistische Vergleiche zwischen beiden Versionen zieht. Fortgeführt werden sie auch in der Nacherzählung der Dreharbeiten, die dazu noch verstärkt auf die Stars Rosie Perez, Javier Bardem, James Gandolfini, Harley Cross, Aimee Graham, Carlos Bardem, Santiago Segura und einige andere eingeht, ferner auf Kameramann Flavio Martínez, Cutterin Teresa Font sowie Simon Boswell, der die Musik beisteuerte.

Folgerichtig geht es im vierten und letzten Kapitel um Veröffentlichung und Rezeption, wobei Zensuraspekte angesprochen werden und eine Einordnung ins DVD-Zeitalter der frühen 00er Jahre vorgenommen wird. Auf den letzten Seiten folgen noch die Credits und die Tracklist des Perditao-Durango-Soundtracks. Hervorhebenswert ist auch das Farbdesign in der Gestaltung der Bookletseiten: Passend zum schlichten Frontcover-Artwork wird hier ausschließlich mit Schwarz, Weiß und Rot gearbeitet, wobei Überschriften, Texte und Seitenhintergründe im fliegenden Wechsel immer anders gefärbt sind. Gerade in Kombination mit den Schwarzweißfotos funktioniert das hervorragend. Auch die Discs sind überwiegend in Rot-Schwarz-Weiß gehalten, lediglich der Innendruck des Mediabooks sorgt mit dem Grün-Gelb der mexikanischen Prärie für zusätzliche Farbtupfer.

Director’s Cut

Beherbergt sind in der Hülle letztlich drei Silberlinge. Bei der Hauptdisc handelt es sich um eine Ultra-HD Blu-ray, die abgesehen von zwei Trailern lediglich den Hauptfilm mit unterschiedlichen Ton- und Untertitelspuren beinhaltet. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei der aufgespielten Fassung um den Director’s Cut und somit die vollständigste je erschienene Fassung. Der Unterschied zwischen dieser Fassung und den älteren deutschen Fassungen liegt lediglich in einer kurzen Einstellung von knapp vier Sekunden, in der ein Akt der Kindesmisshandlung angedeutet wird. Anders als die in alten US-Fassungen fehlenden Vera-Cruz-Sequenzen, die essenziell für die Handlung sind, verschärft diese Szene lediglich noch einmal den unangenehmen Ton des Films, hat aber keine Auswirkungen auf den Inhalt, so dass ihr Fehlen auf den alten Scheiben nicht allzu sehr ins Gewicht fallen dürfte.

Das Bild

Das gewichtigere Argument liegt wohl in der massiv verbesserten Bildqualität, nicht nur der hochauflösenden Mediums wegen. Vorherige Veröffentlichungen sollen hier einige grundlegende Probleme gezeigt haben, von denen bei der neuen Restauration in 4K mit HDR und Dolby Vision wie erhofft nichts mehr zu sehen ist. Zurückgegriffen wurde dabei auf eine Restauration, die auf der amerikanischen Severin-UHD aus dem Jahr 2021 bereits in Aktion zu erleben war. Für das Encoding und Authoring zur bestmöglichen Nutzung und Bereitstellung der Daten sorgte bei dieser neuen deutschen Edition LSP-Medien. Nun ist „Perdita Durango“ mit seinen extremen Kontrasten vielleicht nicht das dankbarste Objekt für ein solches Restaurationsprojekt. Man wird sich jedenfalls nicht verwundert die Augen reiben, weil man das neue Bild wie einen optischen Spezialeffekt über sich hat wegrollen sehen. Der Effekt ist dezenter, man kann wohl eher sagen, dass die für die 90er Jahre so typische Optik sehr gut eingefangen wurde.

Die Figuren heben sich plastisch von den Hintergründen ab, die vielen Wide-Angle-Shots sind scharf genug, dass man selbst in den hintersten Winkeln noch Details ausmachen kann, die Farben leuchten wie aus dem frisch geöffneten Malkasten, feines Korn wimmelt am mexikanischen Himmel, der Schwarzwert ist tief genug gesetzt, dass die Kontraste auch wirklich atmen können. Schwer zu beurteilen, wie nah das nun gerade farblich am ursprünglichen Material ist, die Illusion reicht aber aus, dass man Duane zustimmt, wenn er beim Blick auf das mexikanische Ödland anmerkt, hier sehe es so aus wie auf einem Alienplaneten.

Der Ton

Aber nicht nur das Bild, auch der deutsche Ton soll auf einigen alten Veröffentlichungen massive Probleme gemacht haben, insbesondere, was eine plötzlich auftauchende Asynchronität in der zweiten Filmhälfte angeht, die auf allen deutschen Blu-rays vorgelegen haben soll. Auch davon ist hier nichts mehr zu spüren. Wie bereits seit der allerersten DVD liegt der deutsche Ton auch hier in 5.1 vor, der ursprünglich fürs Kino angedachten Abmischung also, im vorliegenden Fall als DTS-HD Master Audio. Der chaotische Streifen bietet dabei durchaus allerlei Gelegenheit, die hinteren Kanäle auszutesten; bei so mancher Orgie und Schießerei geht es ziemlich rund, auch wenn es bei den Umgebungseffekten weniger um Wucht und Druck geht, sondern vielmehr um die Nachstellung einer desorientierenden Atmosphäre mit einer Wand aus unzähligen Geräuschquellen.

Die deutschen Stimmen, die in Surround-Abmischungen ja auch gerne mal zu laut oder zu leise abgemischt sind, fügen sich hier im Grunde ideal in das Gewebe aus Effekt- und Musikspuren ein. Mit dem englischen Ton sieht es nicht viel anders aus, nur dass man hier optional zusätzlich auch noch eine Stereospur zur Auswahl hat. Darüber hinaus kann man die Hispano-Stimmung auch noch verstärken, indem man einfach mal eine Runde auf Spanisch dreht. Auch diese Tonspur liegt in einer 5.1-Abmischung vor. Unter dem Strich nehmen sich die drei Tonspuren qualitativ nicht sehr viel, verfügen sie doch alle über ähnliche Merkmale. Viel Zeit wurde übrigens auch wieder in die deutschen und englischen Untertitel investiert, die vollständig überarbeitet bzw. neu angelegt werden mussten.

Der Audiokommentar

Und das war am Ende sogar vierfache Arbeit, denn auch der enthaltene Audiokommentar verfügt über englische und deutsche Untertitel. Die sind auch für die meisten unter uns bitter nötig, denn der Kommentar selbst liegt auf Spanisch vor. Eingesprochen wurde er von Álex de la Iglesia, und zwar nicht für die Severin-Disc, sondern für die 2023 erschienene spanische Blu-ray von Divisa. Kaum hat der Regisseur die ersten Szenen zu analysieren begonnen, spürt er auch schon den Kampf gegen die Echtzeit des laufenden Films und deutet an, dass er wohl nicht alle Themen anschneiden können wird. Dementsprechend kompakt und nah an der jeweiligen Szene bleibt er im Laufe der nächsten zwei Stunden. Wer sich also für Hintergründe zur Realisierung des Films interessiert, veranschaulicht an den jeweiligen Szenen, darf hier mal einen Blick riskieren.

Die Blu-ray: Bonusmaterial

Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass der zweite Platz im Mediabook immer vom nächsttieferen Medium besetzt wird, was bei einer UHD auf dem Hauptsteckplatz eine normale Blu-ray ist. Diese bietet ebenfalls den Film mit identischer Restauration sowie identischen Tonspuren (inklusive Audiokommentar) für alle, die keinen UHD-Player ihr eigen nennen. Doch wessen erste Wahl die UHD ist, der sollte sich trotzdem nicht der normalen Blu-ray entledigen, hat diese doch weit mehr als nur zwei Trailer zu bieten, ein Paket von weit mehr als zwei Stunden Laufzeit nämlich.

Den Auftakt macht das 25-minütige Making Of. Da dieses aus der Entstehungszeit des Films stammt und somit aus einer Zeit, als die Röhrenfernseher noch Standard waren, liegt dieses im Vollbildformat vor. Wenn darin nun Ausschnitte aus dem auf 2,35:1 maskierten Hauptfilm eingeblendet werden, weist dieses dementsprechend rundherum schwarze Balken aus, während sich die Behind-the-Scenes-Abschnitte und Interviews bis zum oberen Bildrand erstrecken und nur links und rechts einen Balken aufweisen.

Das Feature weist noch einen gewissen Werbecharakter auf, bietet aber immerhin Einblicke in die Dreharbeiten und auch in die Intentionen des Regisseurs, dessen jüngere, weniger graue, etwas pummelige Version sich oft in Interviews äußert und von dem auch eine strenge Hand am Set zu erkennen ist, wenn er die Statisten am Set der Kriegsszene anweist, auf keinen Fall in die Kamera zu schauen oder zu lachen, weil er ihnen sonst höchstpersönlich eine Kugel verpasst. Darüber hinaus darf man sich als Nostalgiker auch über das Flair alter Special-Edition-DVD-Tage freuen, auch wenn das Making Of anscheinend auf keiner deutschen DVD zu finden ist.

Vollständig in HD stehen hingegen die sechs von Severin lizensierten Featurettes bereit, die jeweils auf Interviews mit einzelnen Beteiligten basieren, von der Regie geschmückt mit Einspielern aus dem Hauptfilm oder aus anderen Filmen, die in den Interviews zur Sprache kommen. Zunächst wäre da „On the Border“ mit Álex de la Iglesia, das unter allen neu produzierten Features mit 28 Minuten die längste Laufzeit aufweist. Es schaut sich wie eine Fortsetzung des alten Making Ofs, nur dass der Regisseur inzwischen grau, weise und dennoch durchaus stolz über sein Werk referiert. Filmausschnitte und Themen wiederholen sich teilweise sogar, insgesamt führt der Abstand auf den damals fast 25 Jahre alten Film dazu, dass die Analysen mit einer angenehmen historischen Distanz erfolgen. Dass man zu dem Schluss kommt, dass man einen solchen Film heute nicht mehr drehen könnte, versteht sich da von selbst.

Barry Gifford, Autor der Vorlage und somit geistiger Vater von Perdita Durango, übernimmt anschließend im 17-minütigen Beitrag „Writing Perdita Durango“ das Wort und erläutert die Entstehung des Film aus seiner Perspektive, die etwas außerhalb des Systems angesiedelt ist, da er sich ursprünglich einfach nur als Romanautor betrachtete und er sich das Schreiben von Drehbüchern unter anderem mit diesem Film erst aneignen musste. Gifford geht auch darauf ein, welche Aspekte des Films seiner Meinung nach seinem Werk gerecht werden und welche ihm eher fremd erschienen, unter dem Strich gibt er sich aber äußerst pragmatisch, was die Adaption seines geistigen Eigentums in ein anderes Medium angeht.

Sehr interessant ist auch „Dancing with the Devil“ (13 Min.) mit Rebekah McKendry geraten, die man inzwischen als Regisseurin von Filmen wie „Glorious“ und „Elevator Game“ kennt, die hier aber eher in ihrer journalistischen Tätigkeit operiert und den bis hierhin noch fehlenden Blick des Kritikers auf „Perdita Durango“ nachreicht. Sie geht auf die Veröffentlichungsgeschichte des Films ein, auf die Wirkung seiner Sex- und Gewaltaspekte, die Unmöglichkeit seiner Vermarktung und letztlich auch auf seine oft verkannten Qualitäten. All das geschieht mit spürbarem Enthusiasmus, der es sehr angenehm macht, ihr bei ihren Ausführungen zuzuhören.

Es folgt „Narcosatanicos“ (18 Min.) mit Abraham Castillo Flores, seines Zeichens Kurator beim mexikanischen „Morbido Fest“ Filmfestival, und dem als Autor und Produzent tätigen Jim Schutze. Die Beiden nehmen sich einiger realer Hintergründe an, die mit den im Film gezeigten Darstellungen verknüpft sind, und arbeiten dabei im Stil kriminalistischen Aufklärungsjournalismus Fakten auf.

Filmkomponist Simon Boswell, der unter anderem mit Dario Argento („Phenomena“), Lamberto Bava („Dämonen“), Michele Soavi („Aquarius“), Richard Stanley („M.A.R.K. 13 – Hardware) und Clive Barker („Lord of Illusions“) gearbeitet hat, gibt in „Canciones de Amor Maldito“ derweil Einblicke in seine Arbeit an „Perdita Durango“ im Speziellen und seine Methodik im Allgemeinen. De la Iglesias habe ihm maximalen Freiraum bei der Komposition ermöglicht, was ihn nach eigener Aussage zu seinen besten Arbeiten treibe, auch wenn er die Vorgehensweise vieler italienischer Filmproduzenten und Regisseure, die bei ihm einfach Kompositionen nach Thema bestellen („etwas Schnelles“; „etwas für eine Liebesszene“), ohne Ausschnitte des Films zu teilen, skeptisch zu betrachten scheint.

Den Schlusspunkt setzt Kameramann Flavio Labiano, der in „Shooting Perdita Durango“ nicht mehr viel beisteuern kann, was Álex de la Iglesia nicht bereits im ersten Beitrag gesagt hätte; allerdings bleiben ihm auch nur fünf Minuten, bis der Abspann für das letzte Severin-Feature einrollt. Wie der Hauptfilm sind natürlich auch alle Featurettes untertitelt.

Am Ende wartet noch ein Paket aus Werbematerial. Der „Teaser-Trailer“ ist unbearbeitetes, dialogfreies Teasermaterial direkt aus den 90ern, der deutsche und englische Trailer wurde offensichtlich genau wie der Hauptfilm in HD-Qualität restauriert. Die actionreiche Art, den Film zu bewerben, entstammt aber zweifellos ebenfalls den 90ern. Zur Abrundung folgen noch zwei Galerien: Eine für die Storyboards (3 Min.) sowie eine weitere für Aushangfotos und Promomaterial.

Soundtrack-CD

Neben der UHD und der Blu-ray befindet sich der Soundtrack als CD im Mediabook.

Der Soundtrack

Es ist aber auch noch eine dritte Disc an Bord, und zwar der Soundtrack auf CD. Diesen konnte man bereits 2001 mit der Special-Edition-DVD-Ausgabe von e-m-s erwerben, so darf er also 24 Jahre später in der neuen Referenz-Edition auch nicht fehlen. Die Stücke, die Simon Boswell für den Film schrieb, werden von dramatischen Streichern dominiert, bauen aber in Anlehnung an die Santero-Orgien auch mal Bongos und andere exotische Trommelinstrumente ein sowie den ein oder anderen sakralen Chor, wenn es gerade passt.

Zumeist klingen die Titel angetrieben, hektisch, chaotisch, ganz wie der zugehörige Film. Zwischen Boswells Score-Elemente schieben sich regelmäßig Teile des Soundtracks, der mit Herb Alperts „Spanish Flea“ oder Johnny Cashs „Walk the Line“ hochgradig ironisch anmutet. In diese Kerbe schlagen auch die zwei Titel der mexikanischen Kapelle „Los Tucanes de Tijuana“, die der „Música Norteña“ frönen, einer Spielart mexikanischer Popmusik, die vor allem an der Grenze zu den USA verbreitet ist. Und was könnte es für einen besseren Rausschmeißer geben als die Blues-Bombe „I’m Lonely“ von Screamin‘ Jay Hawkins?

Goodies

Wer im Label-Shop bestellt, bekommt etliche Goodies on top.

Wer dann auch noch Lust auf Goodies hat, bestellt am besten direkt im Wicked Vision Shop. Dort bekommt man nämlich zum Mediabook noch zehn (!) Art Cards, einen Aufkleber und ein Poster dazu.

An das Thema „Perdita Durango“ kann wohl jetzt ein Haken gemacht werden. Álex de la Iglesias berüchtigte Grenzlandballade ist jetzt vielleicht gerade genug gereift für eine Wiederentdeckung und steht nun in der bestmöglichen Form dafür bereit. Die UHD mit Dolby Vision transportiert die eigenwillige Optik in all ihrer fiebrigen Pracht, die Tonprobleme sind behoben, ein Audiokommentar wurde aufgetrieben, etliche alte und neue Special Features zusammengetragen, alles ist zweisprachig untertitelt und der Soundtrack auf CD ist auch noch dabei. Dazu ein klassisch-schlichtes Mediabook-Design in den Basisfarben Schwarz-Weiß-Rot und ein dickes Booklet. Mehr geht gerade nicht und mehr muss auch nicht.

Sascha Ganser (Vince)

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