Originaltitel: Canary Black__Herstellungsland: Großbritannien__Erscheinungsjahr: 2024__Regie: Pierre Morel__Darsteller: Kate Beckinsale, Rupert Friend, Ray Stevenson, Jaz Hutchins, Goran Kostic, Ben Miles, Romina Tonkovic, Rok Juricic, Masayoshi Haneda, Emma Gojkovic, Saffron Burrows u.a. |
Der neue Film von Pierre Morel („Freelance“) startet furios. Eine weiß perückte Kate Beckinsale fräst sich hier in der stylischen Behausung eines fiesen Japaners durch dessen Henchmen. Trocken serviert sie die Lumpen ab, verknotet Extremitäten, rutscht auf dem Boden umher und erschießt die Goons auch durch eine Treppe hindurch. Blut spritzt, die Choreographie gefällt und am Ende treibt der Oberlump ausblutend in seinem Indoorpool.
Der Actionfan sitzt da mit hochgezogenen Mundwinkeln auf seinem Sofa und fragt sich, ob Regisseur Pierre Morel mit diesem Streifen etwa zu alter Stärke zurückfindet? Dann beginnt der eigentliche Storytellingpart. Alles verläuft in geregelten Bahnen. Kate Beckinsale heißt hier Avery Graves und arbeitet für die CIA. Kurz nach der Feier des Hochzeitstages mit ihrem Ehemann David, der von Averys Job keine Ahnung hat, verschwindet David spurlos.
Avery wird daraufhin von den Entführern kontaktiert. Wolle sie ihren Ehemann gesund und munter wiederhaben, müsse sie eine Datei namens Canary Black besorgen. Angeblich eine Liste mit kompromittierenden Beweisen gegen so gut wie jeden höherrangigen Amerikaner. Freilich schickt sich Avery an, genau diese Liste zu beschaffen und eigentlich ist die Marschrichtung des Actionthrillers damit klar. Eigentlich.
Denn was da nun tatsächlich genau und vor allem warum passiert, das bleibt lange Zeit ein großes Rätsel. Kaum ein Schachzug der Lumpen ergibt Sinn. Kaum ein Verhalten der vermeintlichen Verbündeten von Avery ist logisch erklärbar. Wenn man anfängt, über das bislang Gesehene nachzudenken, zaubert man sich selbst Knoten in die Hirnwindungen. Morel, der zu seinen Hochzeiten („96 Hours“ sei genannt) geradlinig und taff inszenierte, ist definitiv nicht zurück.
„Canary Black“ beginnt mehr und mehr zu nerven. Einfach weil keine Richtung erkennbar ist. Und wenn in den letzten Minuten ein Charakter mit einer hingerotzten Erklärung alles auflösen soll, fährt er damit nicht einmal die größten Handlungslöcher zu.
Action mit Kate Beckinsale von Pierre Morel
Aufgrund der allgemeinen Unzufriedenheit mit der „Story“ hat man auch viel Zeit genauer hinzuschauen. Als erstes fällt die seltsam unwirklich aussehende Kate Beckinsale („Jolt“) auf. Die hat ihrem Gesicht vor den Dreharbeiten scheinbar ein paar Extrarunden Botox gegönnt und wirkt vor allem rund um ihre Mundpartie gar nicht mehr wie sie selbst.
Allgemein findet Morel keinen Hebel, die attraktive Schauspielerin attraktiv wirken zu lassen. Klar, er steckt sie in enge, schwarze Garderobe, aber die Details passen nicht. Die weiße Perücke vom Anfang sieht aus wie vom Wischmopp geklaut und auch die ansonsten aufgetragene Frisur ist turbo-langweilig. Dass Frau Beckinsale ihre aufgepumpt wirkenden Lippen nicht mehr schließen können zu scheint, lässt sie zudem immer mal wieder seltsam dümmlich aus der Wäsche gucken.
Doch auch ihre Antipoden sind einfach nur öde. Der Oberlump entwickelt überhaupt gar kein Profil. Seine Henchmen sind einfach nur da, ohne dass einer hervorstechen würde. Und die mehr und mehr ebenfalls zu Verfolgern von Avery mutierenden ehemaligen Kollegen und Vorgesetzten verfangen kein Stück. Eine Ausnahme ist der leider viel zu früh verstorbene Ray Stevenson („Accident Man“), dem dieser Film gewidmet wurde. Er bringt als Mentor von Avery wenigstens etwas Glanz in die Hütte.
Nun will Morels Film häufiger mal überraschen – was nie gelingt. So ahnt man auch alle überraschend gemeinten Entwicklungen um einzelne Charaktere meilenweit voraus. Genannt sei Rupert Friends („Hitman: Agent 47“) egale Figur des Ehemannes von Avery. Die finalen Entwicklungen rund um diese Figur sind richtiggehend lachhaft.
Doch es gibt ein Element an „Canary Black“, das echt gut funktioniert: Die Action. In der wirkt Kate Beckinsale deutlich engagierter als in den Handlungsszenen. Und sie bekommt ein paar hübsche Szenen zugeschanzt, in denen sie durchaus auch beidhändig ballernd die Lumpen ausschaltet. Klar, es gibt auch dumme Szenen, etwa jene um eine gigantische Drohne oder eine Mine, aber insgesamt macht die Action durchaus Laune.
Ein echtes Highlight ist eine Materialschlacht in Kroatien, bei der einander verfolgende Autos für amtlich Blechschaden und eine klasse Kollision mit einer Straßenbahn sorgen. Es steigen auch kleinere Explosionen in der etwas zu kurzen Szene. Und wenn sich dann Kate Beckinsale auch noch eine automatische Waffe greift und am Ort des Geschehens kurz und trocken die Reste „abräumt“, ist der Film ganz bei sich.
Dass da ausgerechnet der Showdown so gar nicht mithalten kann, ist echt schade. Zwar gibt Frau Beckinsale auch hier alles, aber das Geballer in einer Art Kanalisationssystem hat man einfach schon viel zu oft gesehen. Echte Highlights sind obendrein Mangelware. Und nach dem erfrischend blutigen Einstieg hat man mehrfach das Gefühl, dass Pierre Morel in Richtung Finale in Sachen Brutalität immer gebremster wirkt.
Zumindest sorgt der Franzose für einen durchgehend wertigen Look. Ich hätte mir Japan als durchgehendes Setting für den gesamten Film gewünscht, doch auch Kroatien liefert ein paar hübsche Bilder. Besondere optische Sperenzchen weiß Morel nicht aufzufahren. Schön ist, dass er weitgehend auf allzu offensichtliche CGI-Momente verzichtet. Sein Film wirkt weitgehend angenehm handgemacht.
„Canary Black“ verkackt es aufgrund seiner „Story“
Wenn man es schafft, nicht zu viel über den Story-Wirrsinn von „Canary Black“ nachzudenken, bekommt man eigentlich einen technisch versiert inszenierten, flott voranschreitenden Actioner, der mit einigen gelungenen Actionszenen und einer taffen Kate Beckinsale zu punkten vermag. Nichts ist hier neu oder extrem spektakulär, aber insgesamt kann man sich von dem Film durchaus brauchbar unterhalten lassen.
Denkt man aber nur ansatzweise über die Handlung nach, kann man das brutal auf mögliche Fortsetzungen getrimmte Finish nur als Drohung begreifen. Ich habe nichts gegen MacGuffin-Jagden in Actionern, aber ein wenig Logik sollte selbige dann schon antreiben. Dann könnten nämlich auch nicht ganz egale Elemente wie Spannung oder Figuren, die einem nicht vollends am Arsch vorbeigehen, das Erlebnis bereichern.
Der für Prime produzierte Film wird aktuell genau da ausgewertet. Hier hat er ungeschnitten eine Empfehlung ab 16 erhalten.
In diesem Sinne:
freeman
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Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
Copyright aller Filmbilder/Label: Amazon / Prime Video__Freigabe: ab 16 empfohlen__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein |