| Originaltitel: From the World of John Wick: Ballerina__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2025__Regie: Len Wiseman__Darsteller: Ana de Armas, Keanu Reeves, Ian McShane, Anjelica Huston, Gabriel Byrne, Catalina Sandino Moreno, Ava Joyce McCarthy, Juliet Doherty, Norman Reedus, Lance Reddick, Sharon Duncan-Brewster, Robert Maaser, Daniel Bernhardt, Anne Parillaud, Rila Fukushima u.a. | 

In dem „John Wick“-Spin-Off „Ballerina“ von Len Wiseman spielt Ana de Armas die Hauptrolle, während Keanu Reeves als Gast vorbeischaut
Mit „John Wick 4“ war die Saga um den titelgebenden Profikiller zu einem möglichen Ende gekommen, aber in der Welt des von Keanu Reeves gespielten Actionhelden gab es noch was zu erzählen und für das Studio Lionsgate Geld zu verdienen. Erst kam die Streaming-Serie „The Continental“, nun mit „Ballerina“ ein weiteres Spin-Off sogar für die große Leinwand.
Der Clan der Ruska Roma, der erstmals in „John Wick 3“ auftauchte, liefert in „Ballerina“ einerseits die Verbindung zur Hauptreihe, andrerseits den Startpunkt für die weitere Mythologie. Aus der Mitte der Ruska Roma stammt auch der Vater der kleinen Eve, der sich in der Auftaktsequenz allerdings einer ganzen Horde von Mördern eines anderen Clans gegenübersieht, seine Tochter beschützt, aber die Auseinandersetzung mit dem Leben bezahlt. So kommt Eve in die Ballettschule der Direktorin (Anjelica Huston), die man schon aus dem besagten dritten Teil der „John Wick“-Reihe kennt.
Dort wird Eve freilich nicht nur im Tanz, sondern auch im Kämpfen und Schießen ausgebildet, mit den männlichen und weiblichen Mitgliedern der Ruska Roma. Dass die erwachsene Eve Macarro (Ana de Armas) körperlich nicht so groß und so stark wie ihre männlichen Kontrahenten ist, wird von Ausbilderin Nogi (Sharon Duncan-Brewster) offen angesprochen: „Fight Like a Girl“, so auch der Name des Titelsongs von Evanescence. Eve erweist sich als gelehrige Schülerin und erhält bald ihren ersten Auftrag, den sie zwar besteht, bei dem aber nicht alles glatt läuft. „Ballerina“ inszeniert seine Protagonistin nicht als direkt perfekte Actionheldin, sondern gibt ihr auch Schwächen und Momente des Lernens. Sie ist zwar aus der Welt von John Wick, aber sie ist nicht direkt ein weiblicher John Wick.
Als Eve von den Ruska Roma auf Daniel Pine (Norman Reedus) angesetzt wird, stößt sie allerdings auf eine Parallele zu ihrer eigenen Vergangenheit, denn hinter diesem ist auch jener Clan her, der einst ihren Vater ermordete. Eve will auf eigene Faust Rache an ihnen nehmen, womit sie das Gleichgewicht der Unterwelt allerdings ziemlich ins Wanken bringt…
Schaut euch den Trailer zu „From the World of John Wick: Ballerina“ an
„Ballerina“ begann sein Leben als Stand-Alone-Spec-Script von Shay Hatten („Day Shift“) im Jahr 2017, wurde allerdings später umgeschrieben, um in die „John Wick“-Reihe zu passen, nachdem Hatten immer mehr zu deren Stammautor wurde, während sich Franchise-Erfinder Derek Kolstad zurückzog. Inszeniert hat den Film dann Len Wiseman, der seit dem „Total Recall“-Remake von 2012 durch Kinoabwesenheit glänzte. Nach ersten, wenig begeisterten Testscreenings gab es weitere Dreharbeiten, die wahlweise als Re-Shoots oder Drehs von Zusatzmaterial betitelt wurden, über deren Umfang ebenso widersprüchliche Infos verbreitet wurden wie über die Anteile von Wiseman und dem franchiseverantwortlichen Chad Stahelski daran. Doch egal wie umfangreich die Nachdrehs waren und wer dabei den Hut aufhatte – gelohnt haben sie sich auf jeden Fall, denn als Spin-Off ist „Ballerina“ der Hauptreihe beinahe ebenbürtig.

Eve Macarro (Ana de Armas), wird nicht nur zur Ballerina, sondern auch zur Kämpferin ausgebildet
John Wick (Keanu Reeves) hat in dem Film, der mehr oder weniger parallel zu den Erlebnissen von Teil 3 spielt, ein paar kleine Auftritte und sorgt ebenso wie die Ruska-Roma-Mythologie sowie die Szenen mit Winston (Ian McShane) und Charon (Lance Reddick) für Franchise-Anbindung, ohne dabei den Hauptfilm zu erdrücken. Denn „Ballerina“ kann auf eigenen Beinen stehen und eine eigene Identität gewinnen. John Wick war ein gereifter, altgedienter Killer. Einer, der schon aus dem Business ausgestiegen war. Einer, über den man sich Legenden erzählte und den man erst im Verlauf der Filmreihe besser kennenlernte.
Eve Macarro lernt das Publikum dagegen von ihren Anfängen an kennen, es ist eine Geschichte in der Tradition von „Nikita“, dem der Film auch dadurch Respekt zollt, dass dessen Hauptdarstellerin Anne Parillaud eine Minirolle als Concierge des Prager Continental-Hotels hat. Auch die Charakterzeichnung der Hauptfigur stimmt, gibt ihr genug Profil, ohne dabei zum Ballast für die Action-Handlung zu werden. Es mögen vielleicht bekannte Muster sein, vielleicht lediglich Akzentverschiebungen innerhalb des „John Wick“-Kosmos, aber sie genügen, um „Ballerina“ etwas Eigenes zu geben.
Geblieben ist das Neon-Noir-Styling, das auch Eve in schicke Partylokale und ähnlich Locations führt – in einem eisverkleideten Nachtclub muss sie sich etwa auf rutschigem Untergrund bewähren. Geblieben ist die phantasievolle Ausarbeitung der Unterwelt, ihrer Services und ihrer Gesetze. Neben einem weiteren Continental-Ableger gibt es hier etwa einen Waffenladen zu sehen, hinter dessen Jagdbedarf-Äußerem sich noch wesentlich mehr befindet. Geblieben ist vor allem die Idee einer Parallelwelt, in der hinter jeder Ecke Killer lauern können, was spätestens mit Eves Ankunft in dem beschaulichen Städtchen Hallstatt in Österreich kreative Blüten treibt.
Was man leider nicht wirklich übernommen hat, ist die Idee besonders herausragender Gegner mit herausragender Besetzung für die Hauptfigur: Bei einem bestimmten Joker, der von der Gegenseite gezogen wird, weiß man, dass er Eve nicht wirklich aufhalten wird, B-Actionstar Daniel Bernhardt („Chief of Station“) als Meuchelmörder bekommt nicht genug Raum und Dex (Robert Maaser) als Chef-Vollstrecker des schurkischen Clan-Chefs (Gabriel Byrne) wird leider erst auf den letzten Metern so richtig präsent.

Winston (Ian McShane) greift Eve aus alter Verbundenheit unter die Arme
Dafür lässt es „Ballerina“ in gewohnter „John Wick“-Tradition ordentlich krachen, wobei gleich vier Personen als Stunt und/oder Fight Coordinator mitwirkten: Jan Petrina („Unlocked“), Domonos Párdányi („The Killer’s Game“), Jackson Spidell („Tenet“) und Caleb Spillyards („Thunderbolts*“). Die haben allerdings auch alle Hände voll zu tun, denn in der zweiten Hälfte von „Ballerina“ geht es in einer Tour rund – gerade im Schlussspurt muss die Heldin dauerhaft in einer feindlichen Umgebung um ihr Leben kämpfen. Die Mischung aus Shoot-Outs und Nahkämpfen, die gern fließend ineinander übergehen, ist mal wieder furios choreographiert und schön übersichtlich inszeniert, mit langen Einstellungen und sauberem Schnitt.
Die Experimentierfreude der Reihe zeigt sich vor allem in zwei Set Pieces. Im ersten hat die Heldin vor allem Granaten, um sich in einem Gewölbe gegen Angreifer zu verteidigen, und nutzt dabei Stahltüren und dergleichen, um sich vor Druckwellen zu schützen usw. Im zweiten läuft „Ballerina“ zu noch höherer Form auf, wenn Eve sich einen Flammenwerfer schnappt, jede Menge Henchmen damit einäschert und sich gleichzeitig mit einem Widersacher duelliert, der die gleiche Waffe nutzt – inklusive denkwürdigem Finale des Kampfes. Doch insgesamt ist die Action mal wieder von bestechend hoher Qualität – dafür bürgen Chad Stahelski und Co. mit ihrem guten Namen.
Plotseitig sind freilich keine allzu großen Wunderdinge zu erwarten. „Ballerina“ ist eine klassische Rachegeschichte, nur eben aufgehübscht durch das Worldbuilding und Details am Rande. Wieder einmal gibt es die „John Wick“-typische Verbindung von moderner und charmant-veralteter Technik, etwa wenn ein Späher in Hallstatt durch altmodische Fernrohre auf den Ort guckt, die Schergen allerdings mit modernster Bewaffnung nach Eve jagen. Nachdem die Einführung und Ausbildung von Eve abgeschlossen wurde und es zu jenem folgenschweren Auftrag kommt, folgt die Actionheldin in erster Linie ein paar Hinweisen und arbeitet sich durch Gegnerhorden bis zum Mörder ihres Vaters vor.
Eine kleine Überraschung bezüglich einer Widersacherin gibt es, die allerdings schnell abgehandelt wird und nicht die nötige Tragweite bekommt. Vieles wird in Sachen Mythologie nur angerissen (etwa die Hintergründe der Ehe zwischen Eves Ruska-Roma-Vater und der Angehörigen eines anderen Clans), aber der Schluss lässt sich die Möglichkeit eines tieferen Eintauchens in die „Ballerina“-Welt für Sequels natürlich offen.

Auch John Wick (Keanu Reeves) höchstpersönlich schaut vorbei
Ana de Armas hatte ja schon in „Keine Zeit zu sterben“, „The Gray Man“ und „Ghosted“ Action-Credibility gezeigt und stände sicherlich für Sequels zur Verfügung, für die sie sich in hervorragender körperlicher Verfassung präsentiert. Doch sie ist nicht nur eine überzeugende Fighterin, sondern auch darstellerisch ein überzeugender Racheengel: Noch kein Vollprofi wie John Wick, aber getrieben von dem Wunsch nach Vergeltung. Keanu Reeves („Gefährliche Brandung“) hat Gravitas in seinen Szenen, ebenso wie Ian McShane („Hellboy – Call of Darkness“) und Lance Reddick („Fringe“) – in seiner letzten Rolle vor seinem unerwarteten Tod – bei ihren Gastauftritten. Gabriel Byrne („69 Tage Hoffnung“) ist ein charismatischer Oberschurke, Anjelica Huston („The Player“) guter Support, während Norman Reedus („Gangster Chronicles“) wenig gutes Material erhält und damit nicht so wirklich im Film ankommt.
„Ballerina“ beweist, dass auch Geschichten aus der Welt von John Wick funktionieren können, ohne dass die hundefreundliche Ein-Mann-Armee im Zentrum steht. Das Spin-Off von Len Wiseman ist ein stark inszenierter, temporeicher Rache-Actionfilm mit gewohnt einnehmendem Worldbuilding und famosen Set Pieces, die vor allem in der zweiten Filmhälfte mit hoher Frequenz einschlagen. Vielleicht fehlt ein Gegenspieler vom Kaliber eines Donnie Yen oder eines Mark Dacascos, vielleicht wird nicht aus jeder Enthüllung das Maximum herausgeholt, ansonsten ist das Spin-Off der Hauptreihe beinahe ebenbürtig.

Leonine bringt „Ballerina“ am 5. Juni 2025 in die deutschen Kinos, ungekürzt ab 18 Jahren freigegeben.
© Nils Bothmann (McClane)
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| Copyright aller Filmbilder/Label: Leonine__FSK Freigabe: ab 18__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein, ab 5.6.2025 in den deutschen Kinos | 







