„Kraven the Hunter“ erzählt die Geschichte des titelgebenden Spider-Man-Antagonisten, der hier von Aaron Taylor-Johnson verkörpert wird. Der gefürchtete Menschenjäger wurde durch seinen verhassten Mafiaboss-Vater Russell Crowe geformt, besitzt eine besondere Verbindung zur Natur und ist der Schrecken von Gangstern, die er als Beute auserkoren hat. Doch der Selbstjustiz-Antiheld gerät auf seinem Feldzug selbst in die Schusslinie.
Originaltitel: Kraven the Hunter__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2024__Regie: J.C. Chandor__Darsteller: Aaron Taylor-Johnson, Russell Crowe, Fred Hechinger, Ariana DeBose, Alessandro Nivola, Christopher Abbott, Levi Miller, Billy Barratt, Yuri Kokolnikov, Murat Seven u.a. |
Obwohl die Titelfigur zu den beliebtesten Spider-Man-Antagonisten gehört, dauerte es lange, bis er in „Kraven the Hunter“ seinen ersten Leinwandauftritt bekam. Und der hatte es nicht leicht, wurde aus verschiedenen Gründen immer wieder verschoben, sodass das Ergebnis erst im Dezember 2024, zwei Jahre nach dem ursprünglich geplanten Starttermin, das Licht der Leinwand erblickte.
Kraven (Aaron Taylor-Johnson) ist in der Filmversion wie in den Comics der beste Jäger der Welt, hat es hier jedoch nie auf Tiere abgesehen, sondern auf Menschen. Als Profikiller im eigenen Auftrag jagt er die Ziele, an die es angeblich kein Herankommen gibt, wie die Eingangssequenz zeigt, in der sich Kraven als Sträfling in einen russischen Höllenknast irgendwo in der Eiswüste begibt. Schnell erregt er die Aufmerksamkeit des Syndikatsbosses Seymon Chorney (Yuri Kolokolnikov), der dort inhaftiert ist und sein Imperium aus den Gefängnismauern heraus dirigiert. All das ist Teil des Plans, denn bei seiner Audienz enthüllt Kraven seine wahre Identität, tötet den Schurken und entkommt auf spektakuläre Weise aus dem Knast, was schon auf die besonderen Fähigkeiten, die tiergleichen Bewegungen und den Modus Operandi des gefürchteten Menschenjägers einstimmt.
Anschließend springt der Film 15 Jahre zurück, um zu zeigen, wie Kraven zu dem wurde, was er nun ist. Damals kennt man ihn nur als Sergei Kravinoff (Levi Miller), Internatsschüler in New York und Sohn des russischen Mafiabosses Nikolai (Russell Crowe). Gemeinsam mit seinem Bruder Dmitri (Billy Barratt) besucht er das Internat, doch nach dem Suizid der psychisch kranken Mutter holt der Vater seine Söhne ab, um mit ihnen auf die Jagd nach einem besonderen Löwen zu gehen. Sergei begegnet dem Tier, wird fast zerfleischt, aber durch einen magischen Trank zurück ins Leben geholt, den die ungefähr gleichaltrige, ebenfalls anwesende Calypso dabei hat. Der Weg zu diesem Punkt ist geprägt von Zufällen und holpernden Drehbuchvolten, etabliert aber die Welt von Nikolai, der Sergei entfliehen will: Jede Form von Schwäche gilt als verachtenswerter Makel, so auch die Erkrankung der Mutter, der aus diesem Grund ein ordentliches Begräbnis verweigert wird. Sergei soll den Vater beerben, in seinem Sinne aufwachsen, ohne Mitleid, ohne Zögern, ohne Schwäche – also flieht der Junge.
In der Gegenwart also hat sich Kraven nicht nur vom Familiennamen, sondern auch von seinem Vermächtnis befreit, jagt auf eigene Faust schurkische Menschen. Damit gerät er allerdings auf die Abschussliste des Russenmafioso Aleksei Sytsevich (Alessandro Nivola), der noch dazu ein Rivale von Nikolai ist. Aleksei will den Jäger ausschalten, bevor er auf dessen Liste landet, wobei auch die mittlerweile erwachsene Calypso (Ariana DeBose) mit in die Sache hineingezogen wird…
Schaut euch den Trailer zu „Kraven the Hunter“ an
Als „Kraven the Hunter“ ursprünglich starten sollte, war das Sony Spider-Man Universe, kurz SSU, noch in voller Fahrt, auch angetrieben durch den Erfolg der „Venom“-Filme. Zwei Jahre später, diverse Kritikerschelten sowie den heftigen Flop von „Madame Web“ später ist „Kraven the Hunter“ eher ein Auslaufmodell, da Sony sein SSU einstampfen oder zumindest auf Eis legen will. Dementsprechend kommt der Film um den Spider-Man-Antagonisten ohne Mid- und Post-Credit-Szenen aus, was sich jedoch nicht mit den eigentlichen Ambitionen des Ganzen deckt. Vieles schreit eigentlich nach einer Fortsetzung, etwa die Einführung eines weiteren Spider-Man-Schurken gegen Ende oder Kravens Urangst vor Spinnen, die auf die agoraphobische Psychose seiner Mutter zurückgeführt wird. Wenn Kraven an einer Stelle von einem halluzinogenen Pfeil getroffen wird und seine Urängste in Form animierten Spinnen sieht, die so ähnlich wie das Spider-Man-Logo ausschauen, dann wird klar, dass hier schon der Weg für eine spätere Konfrontation mit Spider-Man geebnet werden sollte.
Ob der Film allerdings immer noch der ist, der anno 2022 anlaufen sollte, kann man nur mutmaßen. Eventuell wurde das Ganze im Laufe der ganzen Verschiebungen noch umgeschnitten, die Erzählung fühlt sich jedenfalls danach an. Denn lange Zeit kommt „Kraven the Hunter“ auf keine klare Linie. Da gibt es den Zwist mit dem Vater, da gibt es das Verhältnis zu Dmitri, der in Nikolais Obhut bleiben musste, da gibt es den Mehrfachrivalen Aleksei und da gibt es Calypso. Die war früher Strafverfolgerin, arbeitet jetzt in London als Verteidigerin für wohlhabende, halbseidene Subjekte und hat immer noch Freunde auf Seiten der Guten. Doch so richtig kommt sie nie im Film an, all ihre Storyansätze sind kaum zu Ende gedacht – etwa dass sie die Trauerrede für eine Strafverfolgerin spricht, die auf Chorneys Befehl umgebracht wurde, obwohl sie jetzt genau solche Schurken verteidigt. Oder dass Kraven ihr zuliebe Chorney umbrachte, um sich für seine Rettung von dereinst zu bedanken. Oder dass der sonst so erfahrene Jäger Kraven ihre Kontakte nutzen will, um weitere Ziele für seine Liste zu finden, nachdem er sie allein anhand einer Tarotkarte ausfindig machen konnte.
So holpert der Film erzählerisch vor sich hin, braucht ewig lange für seine Origin-Story-Exposition, um danach nie richtig in den Mainplot einzusteigen. Doch auch in anderer Hinsicht bekleckert sich das Drehbuch von Richard Wenk („Fast Charlie“), Art Marcum („Uncharted“) und Matt Holloway („Men in Black: International“) nicht mit Ruhm. Wenn Kraven und Calypso auf einer Parkbank zusammensetzen und sich erzählen, was ihnen in den 15 Jahren seit ihrem letzten Zusammentreffen passiert ist, dann fühlt sich das nie nach einem echten Gespräch an, sondern einfach nur nach einem plumpen Weg, um das Publikum mit weiteren Hintergrundinformationen zu füttern. Und wenn eine Storywendung gegen Ende dann tatsächlich einige der zahlreichen Erzählstränge noch verwebt, dann ist das viel zu spät, um noch ein kohärentes Ganzes aus dieser Geschichte zu machen. Da mag „Kraven the Hunter“ noch so stolz auf seine letzten Bilder sein, in denen der titelgebende Jäger dann endlich zu seiner markanten Fellkragenjacke aus den Comics kommt.
Dass man ausgerechnet J.C. Chandor als Regisseur für den Film auserkor, nachdem Actionspezialist Antoine Fuqua ablehnte und lieber „The Equalizer 3“ drehte, mag überraschen. Chandor hatte zwar mit dem kernigen „Triple Frontier“ erste Actionerfahrungen gesammelt, ist jedoch eher bekannt für seinen Börsencrash-Nägelkauer „Margin Call“, den Hochsee-Survivalthriller „All Is Lost“ und das Gewerkschafterdrama „A Most Violent Year“. Doch man erkennt Chandors Gespür für Milieus und ambivalente Figuren in „Kraven the Hunter“ wieder, gerade in der Beschreibung der Kravinoff-Familienverhältnisse. Kraven hat seinen Rückzugsort auf Familienland ist Russland, besucht den Bruder in London und kann dem dort ebenfalls lebenden Vater nicht ausweichen. Nikolai lässt den Sohn gewähren, will ihn aber ins Familiengeschäft zurückholen, Kraven setzt den Vater nicht auf seine Liste, will diesem aber möglichst aus dem Weg gehen. Es ist eine interessante Gemengelage von Figuren, die keinesfalls mit, aber auch nicht so wirklich ohneeinander können und das in einem Genre, in dem man sich zur Konfliktbewältigung bevorzugt mit Superkräften auf die Glocke haut.
Im Gegensatz zu „Morbius“ und den „Venom“-Filmen machte Sony bei den Konfrontationen dann keinen Rückzieher, sondern ließ „Kraven the Hunter“ als ersten R-Rated-Film des SSU an den Start, was sich das Endergebnis auch verdient, ohne in die leicht splattrigen Dimensionen eines „Deadpool“ oder „The Suicide Squad“ zu kommen. „Kraven the Hunter“ ist geerdeter, lässt den Antihelden Messer in Hälse stechen, Köpfe mit Bärenfallen zerdrücken oder Schurken via Armbrust an die Wand nageln. In der wohl gelungensten Sequenz des Films dezimiert Kraven eine Horde von Widersachern Marke „Rambo II“, via Fallenstellen und Angriffen aus dem Hinterhalt. Ansonsten wechseln sich in den Actionszenen Licht und Schatten ab. Teilweise ist das stark choreographiert, teilweise dafür dann vom Schnitt verhunzt. Mit dem Profikiller The Foreigner (Christopher Abbott), seinerseits mit hypnotischen Superkräften gesegnet, etabliert „Kraven the Hunter“ auch noch einen ähnlich gelagerten Widersacher, doch auch der kommt nicht so richtig im Film an. Das Duell der beiden hat zwar seine Momente, wird aber dann doch überraschend unwürdig beendet.
Vor allem schreit eine Figur wie Kraven, die nicht fliegt, Lichtblitze verschießt oder ähnliches, eigentlich nach einer erdigen Umsetzung, doch die leistet der Film nur bedingt. Bei einer Verfolgungsjagd in London hängen teilweise echte Stuntleute an Autos, seine katzengleichen Bewegungen und Sprünge wurden teilweise real gedreht, was in beiden Fällen gut aussieht, doch in beiden Fällen ist der Kontrast dann umso größer, sobald Kollege Computer übernimmt. Dann hüpft Kraven wie ein CGI-Flummi ohne Rücksicht auf physikalische Nachvollziehbarkeit durch die Gegend. Vor allem das Finale, in dem sich Aleksei dann vollends als Superschurke Rhino zu erkennen gibt, hat leider viel zu wenig Bodenhaftung und zu viel Budenzauber aus dem Rechenknecht. Aus letzterem stammen dann auch sichtlich die Löwen, Büffel, Bären und sonstigen Tiere des Films, was meist künstlich aussieht, aber dadurch etwas abgefangen wird, dass es oft um comichafte Varianten dieser Geschöpfe geht, etwa einen alten Löwen, der seinerseits Jagd auf menschliche Jäger macht.
Ein großer Lichtblick ist Aaron Taylor-Johnson, der bereits in den „Kick-Ass“-Filmen und „Avengers: Age of Ultron“ Comicfiguren spielte. Als tougher, gerissener Jäger Kraven, der Selbstjustiz für ein probates Mittel hält, präsentiert er nicht nur krass durchtrainierte Bauchmuskeln, sondern auch einen markigen Antihelden, den man sich eben auch als Spider-Man-Gegner vorstellen kann. Ebenfalls stark ist Russell Crowe („Land of Bad“) als verhärteter Patriarch, der Nachtclubschießereien notfalls noch selbst bestreitet und seinem Familienideal ohne Rücksicht auf Verluste oder die Empfindungen seiner Söhne nachhängt. Fred Hechinger („Butcher’s Crossing“) gibt den erwachsenen Dmitri überzeugend als gequälte Seele, als Musiker und Sänger, der frei von der schweren Hand des Vaters sein will. Ariana DeBose („Argylle“) und Christopher Abbott („The Sinner“) dagegen kommen beide nie so wirklich im Film an, da ihre Figuren kaum Entfaltungsraum besitzen. Alessandro Nivola („A Beautiful Day“) geht es nur geringfügig besser. Er darf Aleksei als einen Menschen spielen, den die Kränkungen der Vergangenheit treiben, unter dessen manierierter Oberfläche das Tier steckt, aber auch ihm wird zu wenig Raum gegeben, um wirklich glänzen können.
Unter den zahlreichen misslungenen SSU-Filmen ist „Kraven the Hunter“ wahrscheinlich der, um den es am meisten schade ist. Immer wieder sieht man, was daraus hätte werden können, gerade wenn Chandors Gespür für komplexe Konstellationen anklingt oder man sich auf etwas geerdeterem R-Rated-Action-Terrain versucht. Taylor-Johnson und Crowe sind große Gewinne, doch das Ganze krankt an seinem Drehbuch, das zwar viel erzählen will, aber kaum etwas davon richtig, unter Pacing-Problemen leidet und keine klare Linie findet. Dass das Ganze oft mehr als durchwachsene CGI-Effekte als auf handgemachte Stuntarbeit setzt, ist ebenfalls schade, durch seine Meriten ist das Ganze immerhin geringfügig sehenswerter andere Spin-Offs aus dem SSU.
Knappe:
Sony hat „Kraven the Hunter“ am 12. Dezember 2024 in die deutschen Kinos gebracht, ungekürzt ab 16 Jahren freigegeben.
© Nils Bothmann (McClane)
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Copyright aller Filmbilder/Label: Sony__FSK Freigabe: ab 16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein, seit 12.12.2024 in den deutschen Kinos |