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Shopping

Originaltitel: Shopping__Herstellungsland: Großbritannien / USA / Deutschland / Japan__Erscheinungsjahr: 1994__Regie: Paul W.S. Anderson__Darsteller: Sadie Frost, Jude Law, Sean Pertwee, Fraser James, Sean Bean, Marianne Faithfull, Jonathan Pryce, Daniel Newman, Lee Whitlock, Ralph Ineson, Eamonn Walker, Jason Isaacs, Chris Constantinou, Tilly Vosburgh, Melanie Hill u.a.
Shopping

In „Shopping“ von Paul W.S. Anderson geben Jude Law und Sadie Frost ein junges Autodiebe-Paar

Das in seiner Heimat entstandene Regiedebüt „Shopping“ ebnete dem Briten Paul W.S. Anderson („In the Lost Lands“) ziemlich schnell den Weg nach Hollywood, unterscheidet sich aber nicht zuletzt budget- und produktionsbedingt von späteren Werken des Action-Stilisten.

Wobei Style schon hier eine große Rolle spielt, sichtlich inspiriert von der Bildsprache eines Ridley Scott, vor allem in „Blade Runner“ und „Black Rain“. Wenn die Kamera zu Beginn über eine nicht näher spezifizierte Arbeiterstadt fährt, aus deren Fabrikschloten Rauch und Feuer dringen, dann fühlt man sich an Scotts molochartige Stadtportraits erinnert, hier noch mit einem budgetbedingten Schuss britischen Arbeiterklassenrealismus, denn für aufwändige Bauten, Effekte oder Verfremdungen war kein Geld da, auch wenn Anderson das Ganze mit Luftaufnahmen und Detailshots von austretendem Feuer so stilisiert wie möglich darbietet. Der Weg der Kamera über diese trostlose Kulisse führt zum Jugendknast, wo Billy (Jude Law) sich gerade auf seine Entlassung vorbereitet.

Ob er etwas aus seiner Zeit hinter schwedischen Gardinen gelernt habe, will der harte, aber wohlmeinende Inspector Conway (Jonathan Pryce) vor dem Gehen noch von ihm wissen. Sich nicht mehr erwischen lassen, lautet Billys desillusionierte wie desillusionierende Antwort. Vor dem Gefängnis wartet seine Freundin Jo (Sadie Frost) auf den jungen Autodieb, die mitgebrachte Karre hält Billys allerdings für Schrott, also rauben sie noch auf dem Heimweg einen BMW, was in einer Verfolgungsjagd mit der Polizei mündet. Billy und Jo schmeißen das, was sie ablehnen oder nicht gebrauchen können (z.B. Kassetten mit der „falschen“ Musik oder „Reiche-Leute-Essen“), aus dem geraubten Auto, behalten das, was ihnen gefällt (z.B. ein Handheld-Autorennspiel), in einer Mischung aus Perspektivlosigkeit und Spaßgesellschaft.

Billy kehrt sofort in die Szene der Autodiebe und Crash Kids zurück, während er sich in einem Wohnwagen einquartiert, weil sein Vater ihn nicht in der Wohnung haben will. Sein großer Rivale ist Tommy (Sean Pertwee), der will, dass Billy sich seiner Gang anschließt oder ihm zumindest nicht in die Quere kommt. Billy hat aber weder Lust auf das eine noch das andere…

Schaut euch den Trailer zu „Shopping“ an

„Shopping“ ist ein Kind der 1990er, als eine kleine Welle von Filmen aus unterschiedlichen Ländern von desillusionierten, kleinkriminellen Generation-X-Jugendlichen erzählten, die mehr oder weniger in den Tag hinein leben, etwa „Kids“ in den USA, „Hass“ in Frankreich oder der britische Kollege „Trainspotting“. Auch in „Shopping“ herrscht Perspektivlosigkeit: Es gibt viele Habenichtse, Billys Vater hängt lediglich rauchend in seiner Wohnung herum, Billy und die anderen Crash Kids gehen keiner geregelten Arbeit nach. Verbrechen ist einerseits Rebellion gegen die Verhältnisse, andrerseits ein Weg der Beschaffung von Geld und/oder Eigentum, wobei das titelgebende Shopping auf bestimmte Weise erfolgt: Meist rasen die Verbrecher mit einem Auto durch Schaufenster und Schutzgitter eines Ladens, räumen das Geschäft aus und fliehen mit einem anderen, schnelleren Auto.

Während Tommy dies organisiert macht, um Waren weiter zu verkaufen und sich eine Art Auskommen, wenn nicht sogar Aufstieg zu verdienen, so geht es Billy nur um den Kick und um das Ansehen. Bei einer Durchsuchung von Billys Wohnwagen merkt Conway sogar an, dass Billy nur Müll klaue.

Im Gegensatz zu anderen genannten Filmen dieser Welle fehlt es „Shopping“ allerdings an einer echten Entwicklung. Der Film bildet einen Zeitraum von wenigen Tagen an, an deren Ende die Figuren quasi immer noch dieselben sind wie zu Beginn. Einzig und allein Jo denkt an einen Ausstieg, will mit Billy fortgehen, weil sie ja nach eigener Aussage mittlerweile eine alte Frau von 22 Jahren ist. Ansonsten ist der Film allerdings ähnlich ziel- und antriebslos wie seine Hauptfigur, bildet das Leben zwischen Gammeln im Wohnwagen, Raubtouren und Szenepartys einfach nur ab, ohne einen echten Flow hinzubekommen.

Selbst das dramatisch gedachte Ende ist nur müder Genrestandard einer Gangsterballade. Über die Klassen- und Besitzverhältnisse sagt der Film nur wenig aus, bleibt er doch in der Szene der Crash Kids. Die Reichen kommen am Rande als BMW-Besitzer oder als Passanten in den Konsumtempeln vor, in denen Billy & Co. auf legale Weise nicht shoppen können; die Vertreter der Arbeiterklasse, die in den Fabriken der Stadt malochen und sich so ihr kleines Einkommen verdienen, sind quasi unsichtbar.

Vielleicht ist dies ein Symptom dafür, dass es Anderson als Regisseur und Drehbuchautor bei „Shopping“ dann vielleicht weniger als Boyle, Kassovitz und Co. um eine Beschreibung der Verhältnisse, sondern eher um eine Visitenkarte in Sachen Action und Style ging. Die Autojagden und -crashs sind kompetent wie rasant inszeniert, außerdem mit kleinen inszenatorischen Tricks aufgepäppelt, etwa wenn Anderson eine reale Autojagd mit Szenen aus dem Autorenn-Videospiel gegeneinander montiert.

Eine Szene, in der Tommy und seine Gang im Regen Polizeiautos zertrümmern, strahlt überdeutliches „Blade Runner“-Flair aus, immer wieder würzt Anderson seinen Film mit einfallsreichen Kameraperspektiven und einer an MTV orientierten Ästhetik. Dazu passt auch der Soundtrack mit seinem zeitgenössischen Jugendkultur-Mix aus Rock-, Hip-Hop- und Electro-Tracks, mit dem Anderson das Lebensgefühl der Generation X einfängt. Mehr als über die nur rudimentäre Charakterzeichnung, etwa in der Beziehung von Billy und Jo: Einerseits wird Jo schon als Billys Quasi-Lebenspartnerin eingeführt, andrerseits flirtet Billy auf einer Party mit einem anderen Mädel, worauf sich das Publikum ebenso wenig einen Reim machen kann wie Billys Kumpel Be Bop (Fraser James). Doch es bleibt eine Szene, die einfach in der Luft hängt, aus welcher der Film nichts macht.

Für den heutigen Star Jude Law („Duell – Enemy at the Gates“) war „Shopping“ die erste Kinorolle und der Schauspieler liefert eine starke Performance als selbstzerstörerischer Rebell ab, der sich an keine Regeln hält, egal ob es die der Gesellschaft, die der Polizei oder die der Unterwelt sind. Mit Sadie Frost („Rise of the Footsoldier: Vengeance“) hat er eine ebenbürtige Partnerin an seiner Seite, welche die zweiten Seiten ihrer Figur überzeugend herauszustellen weiß: Einerseits ist Jo die einzige, die an einen Ausstieg und die Möglichkeit eines anderen Lebens glaubt, die sich in der Männerdomäne der Crash Kids durchzusetzen weiß, andrerseits sind ihre Gefühle für Billy so stark, dass sie den Schritt nicht allein gehen will.

Als Gegenpol spielt Sean Pertwee („Soldier“) groß auf: Sein Tommy ist einer, der innerhalb der Szene mit eiserner Hand herrscht und seine Interessen um jeden Preis durchsetzen will, gegenüber den großen Fischen aber nur in der Untergebenenrolle auftreten kann. Neben diesem Trio bleibt der Rest vom Cast nur Beiwerk, auch wenn er durchweg überzeugend spielt und einiges an damals etablierter sowie späterer Schauspielprominenz auffährt, darunter Jonathan Pryce („G.I. Joe – Die Abrechnung“) als leitender Ermittler, Jason Isaacs („Skyfire“) als Hehler, Sean Bean („Saint Seiya: Die Krieger des Zodiac“) als Gangsterboss und Eamonn Walker („A Lonely Place to Die“) als Polizist.

„Shopping“ ist weder Fisch noch Fleisch. Als reines Actiongenrestück ist er eher klein skaliert und lässt die inszenatorischen Extravaganzen seines Regisseurs erst im Ansatz erkennen, als Portrait eines Jugendmilieus, das nicht mehr an eine bessere Zukunft glaubt oder vielleicht nie geglaubt hat, bleibt er zu sehr an der Oberfläche. In beiden Bereichen hat er gute Ansätze und einige starke Momente, tritt erzählerisch aber zu sehr auf der Stelle, um mehr als ein interessantes, aber mit Makeln behaftetes Frühwerk zu sein.

In Deutschland gibt es nur eine DVD von United Video aus dem Früh-DVD-Zeitalter, die zwar ungekürzt ab 16 Jahren freigegeben ist, aber nicht zu empfehlen ist, weil nur deutscher Ton enthalten ist und der Film im falschen Bildformat (1,33:1) vorliegt. Die britische DVD von Universal bietet den Film im O-Ton und Originalbildformat (1,85:1) sowie Bonusmaterial (Trailer, Interviews, B-Roll). Auf Blu-Ray gibt es ihn beispielsweise in den USA und in Großbritannien.

© Nils Bothmann (McClane)

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